Recherche – wichtig für eine gute Story

Recherche ist eine notwendige Voraussetzung, um eine glaubhafte Kulisse für eine Romanhandlung zu erschaffen. Was schiefgehen kann, wenn man dies unterlässt, zeigt folgender Text. Es ist ein „Krimi“, für den die Autorin bei einer bestimmten Sorte Verlag Geld für die Veröffentlichung zahlte. Man hätte es auch zum Fenster hinauswerfen oder verbrennen können. 

Wieder eine eiskalte Nacht im Januar. Es war zwei Uhr morgens, Totenstille. Sie ging durch die verlassenen Straßen von San Francisco spazieren. Tief in Gedanken marschierte sie mit schnellem Tempo den Weg durch den Wald.

„Was war das?“, fragte sich die junge Frau. Sie drehte sich um, doch sie sah nur die dunkle Nacht hinter sich. Nichts ahnend, was auf sie zukommen würde, ging sie weiter, doch sie beschleunigte das Tempo. Irgendetwas hörte die junge Frau, aber sie konnte es nicht zuordnen. Als sie sich umdrehte und dann wieder nach vorne sah, stand plötzlich ein Mann vor ihr. Sie blieb ruckartig stehen.

„Wer sind Sie, was wollen Sie?“, fragte sie nervös.

Er antwortete nicht. Dann griff er in die Innentasche seines Mantels. Reflexartig wich sie ein paar Schritte zurück. Es war keine Waffe. Die junge Frau schaute genauer und fragte erneut, was er von ihr wolle. Der Mann kam ein paar Zentimeter auf sie zu. Jetzt erkannte sie, welchen Gegenstand er in der Hand hielt. Ein Messer. „Was wollen Sie?“

Während sie ihn das fragte, griff die Frau nach hinten zu ihrem Holster, wo sich ihre Waffe befand. Zum Glück hatte sie die Waffe mit, denn als FBI-Agentin hat man nicht immer die Waffe bei sich, außer im Dienst. Doch er war schneller, der Mann sprang förmlich auf sie zu, und gerade als sie den Abzug drückte, schlug er ihr die Waffe aus der Hand und hielt ihr das Messer an die Kehle. Sie hatte nicht getroffen. „Kein Wort oder ich schlitz dir deine verdammte Kehle auf“, sagte er und verstärkte den Druck an ihrer Kehle.

„Okay, ganz ruhig, was wollen Sie von mir?“ Es hörte sich so an, als würde er kichern. Sie überlegte krampfhaft nach einer Lösung. Doch es fiel ihr nichts ein, schließlich drückte jemand ihre Kehle zu, was hatte sie schon für Chancen? „Wenn du das machst, was ich dir sage, kommst du vielleicht lebend aus der Sache raus, verstanden?“

Vielleicht? Na toll.

„Hast du mich verstanden, Agent?“

„Woher wissen Sie, dass ich vom FBI bin? Ich könnte genauso bei der Polizei sein? Oder selber eine Verbrecherin sein.“

Wieder dieses seltsame Kichern. Die Frau wusste, dass es kein harmloser Überfall sein konnte, da steckte mehr dahinter, aber was? Als das Lachen verstummte, sagte er:

„Ich weiß so einiges, ich beobachte dich schon länger. Wusstest du das etwa nicht? Ich meine, das hätte dir doch auffallen müssen, schließlich bist du nicht irgendeine Frau. Also warum so überrascht, Agent J. M.?“

Sie antwortete nicht. „Na schön, du wirst mich jetzt begleiten, und zwar ohne Tricks, und gib ja keinen Mucks von dir, sonst …“

So endet das erste Kapitel dieses „Krimis“. In der englischen Sprache existiert das schöne Wort „verisimilitude“, die Glaubwürdigkeit. Autoren erzählen erfundene Geschichten, ein Ratgeber trägt den passenden Titel „Telling lies for fun and profit“. Das macht ein Autor, banal gesprochen. Er erzählt Lügen, verdient damit Geld und wir haben unseren Spaß dabei. Warum sonst kaufen wir Bücher, sehen uns Krimis im Fernsehen an? Es sind überwiegend erfundene Geschichten.

Da sie aber gut erzählt werden, denken wir uns, dass sie wahr sein könnten. Eine nützliche Voraussetzung dafür ist die Glaubwürdigkeit der Handlung. Ein Krimi aus der Buchhandlung ist stets eine zwischen zwei Buchdeckel gepresste Lüge. Das macht mir als Krimifreund wenig aus, falls ich von dieser Lüge nett unterhalten werde.

Das obige Szenario der Abenteuer einer FBI-Ermittlerin in dem schönen San Francisco hätte mich grundsätzlich gereizt, ich hätte es gerne gelesen. Schon bei den ersten Sätzen fällt aber leider auf, wie wenig die Autorin von Recherche hält. Diese Lügengeschichte ist unglaubwürdig und das darf einem Leser nie bewusst werden. Woran liegt es?

Natürlich gibt es das Buch in keiner Buchhandlung zu kaufen, denn es erschien bei einem DKZ-Verlag. Der Amazon Verkaufsrang liegt bei über 2 Millionen, was so viel heißt wie: „Keiner kauft es.“

Gehen wir die kritischen Passagen im einzelnen durch.

Wieder eine eiskalte Nacht im Januar.

Die Bucht von San Francisco ist für ein ausgesprochen mildes Klima bekannt. Im Januar liegt das Maximum bei 14,6 Grad Celsius, das Minimum bei 5,1 Grad Celsius und der Monatsdurchschnitt ist 9,9 Grad Celsius. Eiskalt impliziert Minustemperaturen. Nichts friert bei 5 Grad plus.

Es war zwei Uhr morgens, Totenstille.

In einer Millionenmetropole wie San Francisco ist es weder um zwei Uhr noch sonst irgendwann totenstill.

Sie ging durch die verlassenen Straßen von San Francisco spazieren. Tief in Gedanken marschierte sie mit schnellem Tempo den Weg durch den Wald.

Wo bitte marschiert die Frau? Erst läuft sie durch eine  – verlassene?- Großstadt, dann ist sie plötzlich im Wald? Wo kommt der auf einmal her? San Francisco hat schöne Parks, der größte ist der Golden Gate Park. Dort gibt es zwar Bäume, aber es ist ein Parkgelände, kein Wald. Die Autorin sollte den spezifischen Ort nennen, in dem die Romanfigur sich gerade aufhält und einen Grund dafür sollte die Figur auch haben.

Bisher weiß man nur, dass die Frau um zwei Uhr morgens spazieren geht. Das ist sicherlich die beste Zeit für so etwas, macht jeder. Sie, liebe Leser meines Blogs, doch auch?

Voller Gedanken (über was eigentlich?) läuft die Figur in einen Wald, den irgendjemand mitten in San Francisco gepflanzt hat. Der beschriebene nächtliche Überfall könnte eher in Problemvierteln stattfinden, z.B. südlich der Market-Street, Little Saigon oder dem Mission-District.

Zum Glück hatte sie die Waffe mit, denn als FBI-Agentin hat man nicht immer die Waffe bei sich, außer im Dienst. Doch er war schneller, der Mann sprang förmlich auf sie zu, und gerade als sie den Abzug drückte, schlug er ihr die Waffe aus der Hand und hielt ihr das Messer an die Kehle. Sie hatte nicht getroffen.

Ein paar Sätze weiter vorher erfährt man als Leser ganz überraschend, dass ein Messer keine Waffe ist.

Reflexartig wich sie ein paar Schritte zurück. Es war keine Waffe. […] Jetzt erkannte sie, welchen Gegenstand er in der Hand hielt. Ein Messer.

Im Text häufen sich Wiederholungen. Das Wort „Waffe“ wird fünfmal hintereinander benutzt, die „Kehle“ taucht viermal auf, „Junge Frau“ wird dreimal verwendet. Eine kleine Recherche hätte erbracht, dass das FBI als Standardpistole die Glock 23 nutzt. Als Ersatz für das Wort „Kehle“ kann man z.B. „Hals“ verwenden. Trotzdem ist die Szene im großen Wald, der mitten in San Francisco stehen soll, aus bestimmten Gründen unwahrscheinlich. Eine schnelle Recherche zur Ausbildung beim FBI kam zu folgenden Ergebnissen:

Der Fitnesstest bei der Einstellung besteht aus vier Modulen, zwischen denen jeweils nur eine Pause von maximal fünf Minuten liegen darf. Zuerst muss man so viele Sit-Ups wie möglich in einer Minute schaffen, dann folgt ein 300 Meter Lauf auf Zeit, anschließend das Messen der maximal möglichen Anzahl an Liegestützen (ohne Zeitlimit, solange, bis man vor Erschöpfung liegenbleibt), sowie ein Lauf über 1,5 Meilen in der geringstmöglichen Zeit.

Und, wie gesagt, zwischen jeder Anforderung gibt es eine maximale Pause von fünf Minuten.

Wer das geschafft hat, wird auf Probe eingestellt und kommt zur Ausbildung nach Quantico. Im dortigen Nahkampftraining lernt man u.a., wie man einen Messerangriff abwehrt. Besteht man auch die anderen Prüfungen, wird man mit einem anfänglichen Bruttogehalt von umgerechnet ca. vierundfünfzigtausend Euro in den Staatsdienst übernommen. Vielleicht wird man als junger Agent nach San Francisco versetzt und arbeitet in der Golden Gate Avenue 450, in der 13. Etage.

Aufgrund dieser Recherche halte ich die von der Autorin beschriebene Szene für ausgemachten Unsinn. Eine Frau, welche die oben genannten sportlichen Anforderungen und die mehrmonatige Kampfausbildung bewältigte, macht aus einem Angreifer, der mit einem lumpigen Messer auftaucht, Hackfleisch! Keinesfalls verhält sie sich so albern wie beschrieben.

Unfreiwillig lustig sind die Dialoge.

„Woher wissen Sie, dass ich vom FBI bin? Ich könnte genauso bei der Polizei sein? Oder selber eine Verbrecherin sein.“

Wer morgens um zwei in San Francisco unterwegs ist, gehört also entweder zum FBI, der Polizei oder ist ein Gangster. Andere Leute trifft man um diese Uhrzeit nicht. Alles klar, liebe Autorin. Ich weiß zwar nicht, wo du lebst, aber selbst da sind um zwei Uhr morgens bestimmt auch andere Leute auf der Straße, oder?

Wieviel Zeit kostete mich die Recherche zu diesem Beitrag über San Francisco und Details zum FBI?

Knapp eine halbe Stunde surfen im Internet. Allein das entlarvte die gröbsten Schnitzer im ersten Kapitel. Umgekehrt bedeutet es: Hätte man nur diese minimalste Recherche durchgeführt, wäre es ein besseres Buch geworden.

Der Umstand, dass die Autorin dieses „Krimis“ für ihre Leser und damit Kunden, nicht einmal so wenig Zeit übrig hatte, ist eine Beleidigung. Kunden wollen umworben werden und nicht verarscht. Sie haben den gerechtfertigten Anspruch auf eine gut konstruierte Lüge, was einen erstklassig recherchierten Hintergrund voraussetzt. Glaubwürdigkeit, das zeichnet einen guten Krimi aus.

Wer ernsthaft einen Krimi schreiben will, der in einer ausländischen Millionenmetropole spielt, kommt über eine langwierige Recherche nicht herum. Da können schon Wochen vergehen, die man daheim am PC und in der nächstgelegenen Bibliothek verbringt. Erst ab einer bestimmten Menge Wissen ist man in der Lage, eine glaubwürdige Geschichte zu konstruieren.

Da anscheinend viele Leser so denken, liegt der Amazon-Verkaufsrang des Buches bei 2 Millionen.

Bevor ich es vergesse: Es existiert eine fünf Sterne Rezi mit einer sehr aussagekräftigen Begründung, die ich deshalb in voller Länge präsentieren möchte:

Dieses Buch ist von Anfang bis zum Ende sehr spannend und sehr gut geschrieben, aber am besten ist wenn man es seber liest. Es ist sehr zum empfehlen!!!!!!!

Tja, deutsche Sprache, schwere Sprache.

Facebooktwitterpinterestby feather

Bildquelle

  • ID-100290232_dominic: dominic freedigitalphotos.net

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert