Alera vs Die Königliche

Im heutigen Blogbeitrag möchte ich zwei Fantasy-Romane miteinander vergleichen. Einerseits „Alera – Geliebter Feind“, geschrieben von der Autorin Cayla Kluver und „Die Königliche“ von Kristin Cashore. Beide Werke sind vergleichbar aufgrund der Zielgruppe und der verwendeten Hauptcharaktere: Mädchen im Alter von 17 bzw. 18 Jahren, mit royaler Abstammung. Bühne frei für Alera vs Die Königliche.

Kommen wir zuerst zu Cayla Kluver. Falls diverse Informationen stimmen, hat die Autorin das Buch im Alter von 14 Jahren geschrieben. Dazu muss man gratulieren, denn nur wenige Mädchen in diesem Alter können eine derartige Leistung vollbringen. Die üblichen „Werke“ dieser Personengruppe, die man auf Fan-Fiction-Seiten usw. findet, unterscheiden sich von Alera wie ein rostzerfressendes Auto von einer fabrikneuen Mercedes-Limousine. Deshalb: Hut ab! Wunderbare Arbeit!

Andererseits hätte ein aufmerksamer Lektor in dem Werk von Cayla Kluver einiges ändern sollen. Es ist ein guter Roman, das bitte ich nicht falsch zu verstehen, doch er atmet in gewisser Weise den Geist von „nur“ 14 Lebensjahren. Dazu demnächst mehr. Vergleichen wir erst die Grundkonstruktion beider Werke:

Alera

Alera, Grunddaten

  • Siebzehn Jahre alte Kronprinzessin Alera
  • Feiert im Buch den siebzehnten Geburtstag
  • Ein von ihrem Vater ausgesuchter junger Mann wirbt um sie, doch sie kann ihm wenig Positives abgewinnen
  • Die Familie ist intakt, gute Beziehung zu den Eltern
  • Alera hat eine jüngere Schwester mit der sie sich gut versteht

Äußere Bedrohungen:

  • Vor Aleras Geburt gab es Krieg mit einem bösen Nachbarreich
  • Die Bedrohung ist aktuell eher diffus und theoretisch
  • Magie existiert, manifestiert sich aber nur in alten Geschichten

Aleras innere Probleme:

  • Evtl. Zwangsheirat am 18. Lebensjahr, aktueller Bewerber von Vater ausgesucht
  • Schwärmerei für einen neuen Jungen, der aus dem bösen Nachbarreich geflohen ist

die königliche

„Die Königliche“ handelt von der 18 Jahre alten Königin Bitterblue

Grunddaten

  • Achtzehn Jahre alte Königin von Monsea
  • Vollwaise, Einzelkind, Vater war ein Tyrann, brachte seine Ehefrau um
  • Hinweise auf Massenmord des Vaters an eigenen Untertanen, nur „zum Spaß“
  • Bitterblue kann sich nur auf wenige echte Freunde verlassen

Äußere Bedrohungen:

  • Keine durch Nachbarreiche, jedoch durch „alte Seilschaften“ des Tyrannen
  • Seilschaften wollen verhindern, dass Details der Vergangenheit und ihre eigene Verwicklung darin publik werden
  • Bitterblues Leben ist in Gefahr, ein Mordanschlag scheitert knapp
  • Magie existiert in Form von besonderen Veranlagungen mancher Menschen

Bitterblues innere Probleme

  • Hadert mit der eigenen Abstammung und den Taten des Vaters
  • Versuche, die Wahrheit zu erforschen, werden systematisch geblockt
  • Fühlt sich als Einzelkämpferin gegen den Rest der Welt

Wenn man alleine die obigen Aufzählungen durchliest, welche Story klingt interessanter? Welche erscheint spannender? Wo erwartet man mehr „Action“, Verwicklungen, Spannung?

Meine Antwort steht – nach Lesen der beiden Bücher – fest: Mit großem Abstand siegt „Die Königliche“

Alera atmet meiner Ansicht nach den Geist einer vierzehnjährigen Autorin. Ich weiß nicht, wie ich es anders ausdrücken soll. Die Probleme, mit denen Prinzessin Alera sich konfrontiert sieht, sind grundsätzlich Pseudoprobleme.
Beispiele: In einem der Anfangskapitel feiert sie den siebzehnten Geburtstag. Spätestens zum nächsten Geburtstag soll sie verheiratet sein. Dieses Problem raubt ihr aber weder den Schlaf noch bestimmt es wesentlich ihr Handeln. Auch die Schwärmerei für einen eher undurchsichtigen neuen Jungen aus dem Nachbarreich führt zu keinen großen Problemen, z.B. massivem Streit mit den Eltern oder irgendeiner Krise für das Königreich. Alera ist eher damit beschäftigt, ihre Leibwächter auszutricksen, was ihr relativ mühelos gelingt. Sie verbringt gemütliche Zeit mit dem neuen Jungen, findet ihn ganz charmant. Über eine Beziehung zu ihm denkt sie zwar nach, unternimmt aber wenig konkrete Schritte dazu. Das Problem mit dem vom Vater ausgesuchten zukünftigen Gemahl umgeht sie überwiegend durch Nichtbeachtung des Kerls. Nur angedeutet wird ein innerer Konflikt über die geplante Zwangsheirat und der Schwärmerei zu dem neuen jungen Mann. Alera denkt – sehr kurz – darüber nach, dass eine Beziehung mit dem Neuen von ihrem Vater nicht genehmigt werden würde. Also sollte man auch keine solche eingehen. Andererseits raubt ihr das Werben des anderen – ungeliebten – Verehrers auch nie den Schlaf, sie unternimmt nicht einmal ansatzweise irgendeinen konstruktiven Versuch ihr Leben zu ändern.

Für mich war es vergleichbar mit einer Autofahrt im Winter. Ja, es könnte Glatteis geben, ja, man könnte einen Unfall haben, aber trotzdem sitze ich ganz gemütlich hinter dem Lenkrad und vertraue auf meine Reifen. Kein Schweiß auf der Stirn, kein nervöses Zittern der Hände, kein bleiches Gesicht. Die Bedrohung existiert, ist aber eher diffus, ich kann sie problemlos verdrängen.

Die Kritiken bei Amazon sind sich in einem Punkt einig: Die Handlung plätschert vor sich hin.

Genauso fühlte ich mich beim Lesen des Buches. Pseudoprobleme, so aufrüttelnd und gefährlich wie eine Stubenfliege, reihen sich aneinander. Erst gegen Ende des Buches kommt Alera – endlich muss man als Leser leider sagen – in Fahrt und sie trifft eine folgenschwere Entscheidung.

  • Leider erst jetzt – nach vielen zäh dahinplätschernden Seiten.
  • Leider sieht die Entscheidung so aus wie: „Ich muss jetzt unbedingt einen Cliffhanger schaffen, sonst geht mir für das nächste Buch der Stoff aus.“

Man sehnt sich richtig nach der Spannung in „Die Königliche“: Obwohl die Bedrohung überwiegend im Verborgenen bleibt, fiebert man mit Bitterblue. Man sorgt sich um sie, wenn sie in alten Kindheitserinnerungen wühlt, in denen der Vater mit Mutter und einem anderen Mann im Keller verschwindet und man sich als erwachsenes Mädchen fragt: Was haben die beiden mit Mama im Keller getan? Wieso verhalten sich die meisten Hofangestellten selbst acht Jahre später noch merkwürdig?

Kristin Cashore ist sehr gut darin, Symptome von posttraumatischem Stress zu beschreiben und die Strategien der Verdrängung. Fast alle wollen nur vergessen, betrinken sich oder reiben sich auf in der Tagesarbeit. Jeder hat seine Nische gefunden, in der er sich behaglich fühlt. Bitterblues Nachfragen zur Vergangenheit wirken wie ein eiskalter Luftzug in einem geheizten Zimmer.

Es gibt einen Mordanschlag auf Bitterblue, sie treibt sich heimlich nachts in der Stadt herum, auf der Suche nach der Wahrheit. Sie findet Kontakt zu einer Art Widerstandsgruppe und erfährt, dass im Palast vorgelegte Berichte Lügen enthalten. Man gaukelt ihr ein Königreich vor, welches so nicht existiert. Bitterblue bestieg als Kind den Thron, wusste nur wenig Details über die Verbrechen des Vaters. Als Erwachsene fragt sie sich nun, ob Vater diese alleine begehen konnte. Brauchte er keine Helfer? Sind das die gleichen Personen, die heute gefälschte Statistiken vorlegen und eine heile Welt vortäuschen? Was ist Wahrheit, was ist Lüge? Warum herrscht eine Mauer des Schweigens, verüben Unbekannte diverse Morde, damit die Vergangenheit weiter ruht? Wieso fürchten die Mitglieder der Widerstandsgruppe um ihr Leben, setzen es aber trotzdem aufs Spiel?

Man sieht, dass Bitterblue keine Pseudoprobleme besitzt. Ihre Probleme sind tödliche Bedrohungen.

Die Absatzränge bei Amazon sprechen für sich. Anfang September 2015 liegt Alera auf Rang 538.164 in der Rubrik „Bücher“ und „Die Königliche“ auf Rang 19.356

Wie gesagt, Cayla Kluver ist ein großes Talent. Aber ein kritisches Lektorat mit dezenten Hinweisen zur Änderung der Handlung hätte dem Werk gutgetan. Ein guter Lektor ist auch ein Mentor.

Junge Autorinnen wie Cayla Kluver tappen gerne in eine Falle, die „Happy people in happy land“ genannt wird. Der Roman ist handwerklich ausgezeichnet, eine gute Beschreibung der Umgebung, realistische Dialoge, gut gezeichnete Charaktere – doch eines fehlt: der Konflikt.

Ein richtiger Konflikt, lebensbedrohend oder nervenzehrend. Ein Konflikt, der einen nervös an den Nägeln kauen lässt, der den Schlaf raubt, der tiefe Verzweiflung und Not bringt.

Man hätte Cayla sagen sollen, dass ein Roman maßgeblich von der Spannung lebt. Dazu gehören massive Konflikte und keine der Sorte: „Wie gehe ich der Verabredung mit einem Kerl aus dem Weg, den ich nicht besonders mag.“ Oder: „Huch, ich muss die Leibwache austricksen, damit ich ungestört mit einem anderen Jungen reden kann.“ „Eigentlich ist der Junge ganz nett, aber Vater erlaubt mir die Heirat nie. Tja, Pech gehabt. Ich mache weiter wie immer.“

Das sind Pseudoprobleme. Solche tun den Verkaufszahlen eines Romans, wie man sieht, wenig Gutes.

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Bildquelle

  • Alera: Amazon.de
  • die königliche: Amazon.de
  • ID-100159327_Janoon: freedigitalphotos.net

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