Der MICE Quotient von Orson Scott Card

Der MICE Quotient von Orson Scott Card (Autor von „How to write Science Fiction and Fantasy“ sowie den bekannteren Bestseller “Enders Spiel”), hat weder etwas mit Mäusen zu tun noch mit Mathematik.  MICE ist die Abkürzung von

Milieu, Idee, Charakter und Ereignis

Card geht davon aus, dass sich alle Romane in eine der vier genannten Kategorien einteilen lassen. Folgendermaßen werden die einzelnen Arten beschrieben:

Milieu-Story: Der Beginn ist die Ankunft eines Fremden in der Welt. Er sieht, was vor sich geht und will Erfahrungen machen. Die Story endet wenn der Hauptdarsteller entweder die fremde Welt verlässt oder sich dazu entscheidet zu bleiben. Bekannte Beispiele sind „Gullivers Reisen“ und „Der Zauberer von Oz“ und auch „Narnia“

Idee-Story: Diese Art von Geschichte beginnt mit einer Frage und sie endet mit der Beantwortung der Frage. Das hört sich erst einmal komisch an, doch weiter unten ist ein detailliertes Beispiel. Derartige Romane drehen sich um den Prozess der Suche und des Findens der Informationen zur Beantwortung der Frage. Mystery-Romane sind zumeist nach diesem Schema aufgebaut.

Charakter-Story: Sie startet mit der Unzufriedenheit der Hauptperson des Romans mit seiner bisherigen Rolle und der Entscheidung sie zu ändern. Das Romanende besteht darin, dass der Held/die Heldin entweder die neue Rolle erhält oder aber in der alten Welt bleibt.

Ereignis: Beginnt damit, dass die bisherigen Welt aus den Fugen gerät und sie endet mit einer neuen Ordnung oder wenn die Ordnung völlig zerstört ist. Bekannte Beispiele sind „Hamlet“, „Macbeth“, „Dune“ sowie „Herr der Ringe“.

Die Erläuterungen sind sehr theoretisch und auch ich konnte anfangs wenig damit anfangen. Der MICE-Quotient  ist eine durchaus interessante Möglichkeit zur zumindest groben Strukturierung eines Romans. Als Beispiel kann man das Märchen Rapunzel verwenden und die Hauptszenen des Märchens so umstellen, dass es jeweils in eine der 4 Kategorien von Orson Scott Card passt.

Liste der Szenen des Märchens Rapunzel:

1)         Ehepaar stiehlt Rapunzel-Pflanze vom Garten einer Hexe

2)         Dem Ehepaar wird ein Baby geboren

3)         Die Hexe nimmt das Baby als Rache für den Pflanzendiebstahl und nennt es Rapunzel

4)         Hexe sperrt Rapunzel ab ihrem 12. Lebensjahr in einen Turm

5)         Rapunzels Haare wachsen sehr lang, Hexe klettert daran in Turm

6 a)      Ein Prinz geht auf die Jagd im Wald beim Turm

6 b)      Der Prinz hört Rapunzels Gesang, wird auf sie aufmerksam

6)         Der Prinz erklimmt den Turm, trifft sich heimlich mit Rapunzel

7)         Die Hexe bemerkt, dass Rapunzel den Prinz sah

8)         Rapunzel wird aus dem Turm geworfen, muss in der Wildnis alleine überleben

9)         Die Hexe macht den Prinzen blind

10)       Rapunzel und der Prinz finden sich

11)       Rapunzels Tränen verhelfen dem Prinzen wieder zu seiner Sehkraft

12)       Rapunzel und der Prinz leben glücklich zusammen

Milieu-Story:

Um das Märchen zu einer Milieu-Story zu machen ist ein Start bei Ziffer 4  notwendig. Das Ende ist dann folgerichtig bei Ziffer 8. Rapunzel betritt eine neue fremde Welt und die Story endet, wenn diese Welt verlassen wird. Die Story mit dem Prinz kann ein Subplot sein, der aber innerhalb der Szenen 6 bis 8 gelöst werden muss. Es empfiehlt sich also ein Umschreiben. Der Subplot mit dem Prinz endet in Ziffer 8 mit dem positiven Ende von 12.

Idee-Story:

Für eine Idee-Story benötigt man zuerst einen Hauptcharakter, aus dessen Sicht die Geschichte erzählt wird. Benutzt man Rapunzel dafür, so könnte die Frage darum gehen, wie sie es schafft der Hexe zu entkommen. Die Story würde mit Ziffer 3 beginnen (erzählt als Rückblende) und mit 8 enden. Im Lauf der Handlung erhält Rapunzel immer wieder neue Informationen über die Hexe und entwirft mit den Kenntnissen einen Plan zur Flucht. Auch hier kann der Prinz als Subplot eingebaut werden. Er könnte die finale Information bereitstellen, die Rapunzel zur Flucht fehlt.

Charakter-Story:

Da es in einer Charakter-Story darum geht, dass der Hauptprotagonist mit seiner bisherigen Lebenswirklichkeit unzufrieden ist, bietet sich Rapunzel als Heldin des Romans an. Der Roman startet folgerichtig in Ziffer 4 oder besser in 6b, wenn der Prinz ihr begegnet. Die Story endet mit der neuen Rolle für Rapunzel am königlichen Hof in 12.

Ereignis-Story:

Wenn es darum geht, die Welt zu verändern, so eignet sich nur der Prinz als Hauptcharakter. Er entdeckt, dass eine junge Frau in einem Turm eingesperrt ist und macht sich bereit, das Unrecht zu bekämpfen. 6b sollte dahingehend verändert werden, dass der Prinz die Hexe beim Verlassen des Turms bemerkt und Nachforschungen darüber anstellt, warum sie sich so merkwürdig verhält. Der Prinz entdeckt nicht nur die gefangene Rapunzel sondern überlegt auch, wie man der Hexe das Handwerk legen kann. Die neue Ordnung der Welt wäre dann mit 12 hergestellt. Als Subplot eignet sich der Kampf gegen die Hexe, man könnte die Szene 9 mit ihrem Tod enden lassen.

Fazit:

Der MICE-Quotient ist sicherlich sehr nützlich für eine grobe Strukturierung einer Story, sobald man eine erste Idee hat. Für das Feintuning einzelner Kapitel, den Aufbau eines Spannungsbogens, eignet er sich meiner Ansicht nach nur bedingt. Das Konzept dient eher der Katalogisierung von Romanen und nicht deren Aufbau. Ich persönlich frage mich, wie man einzelne Kapitel gestalten soll mit dem groben Schema: „Es soll eine Milieu-Story werden“. Hat jemand „positive“ Erfahrungen mit dem MICE-Quotient?

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Bildquelle

  • MICE Quotient: Fotolia.de

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