Beschreibungen im Roman – mehr als nur Adjektive

Beschreibungen sind das Salz in der Suppe eines guten Romans. Diese allein auf Adjektive zu beschränken, ist falsch. Natürlich existieren Autoren, die beinahe ohne Beschreibungen auskommen (z.B. Iris Johansen). Der zentrale Unterschied besteht teilweise aus der Bekanntheit eines Autors und der treuen Leserschaft, die den Stil kennt und schätzt.

Daneben gibt es Anfänger im Markt, denen man das nicht verzeiht, weil es sich amateurhaft liest.

Nachfolgend zeige ich anhand eines Auszugs aus einem Buch, das bei einem Zuschussverlag erschienen ist (d.h. der Autor bezahlte mit viel Geld seine Buchveröffentlichung. Von allen amateurhaften Verhaltensweisen ist das die dümmste und kostspieligste), wie einfaltslose Beschreibungen klingen. Besprechungen der Werke von Zuschussverlagen sind bei mir grundsätzlich immer anonym, was regelmäßige Leser bereits wissen. Wer bei einem Zuschussverlag drucken lässt, ist schon geschädigt genug.

Ich starte mitten im Text, es soll ein Krimi sein.

Viermal reiste ich im letzten halben Jahr in die Agglomeration von Nizza, immer auf der Suche nach einer Traumwohnung. Jedes Mal habe ich die Fahrten durch Italien, dem tiefblauen Mittelmeer entlang genossen. Im „Vista Palace“, oberhalb von Monte Carlo, habe ich an einem Gin Tonic geschlürft, habe den Hafen mit den „Kleinoden“ arabischer Fürsten und Oligarchen bewundert und von meiner zukünftigen Ferienwohnung geträumt.

Agglomeration ist Schweizerdeutsch. Wer Leser außerhalb dieses Sprachraums sucht, sollte eher die Wörter „Ballungsraum“ oder „Großraum“ verwenden. Davon abgesehen kann ich mir den Hafen von Monte Carlo anhand der Beschreibung nicht vorstellen. Wäre ich nicht selber schon dort gewesen, wüsste ich nach dem Lesen nicht, was mit „Kleinoden“ bezeichnet wird. Wahrscheinlich meint der Autor die im Hafen liegenden Luxusjachten. Diese sind übrigens nicht nur im Eigentum von Arabern und Oligarchen, auch ganz „gewöhnliche“ Reiche, z.B. Filmstars, Sportler, Industrielle etc. haben dort ihre Boote liegen. Ansonsten gibt es über den Hafen noch mehr zu sagen, als nur die ankernden Schiffe zu erwähnen. Das vermeidet der Autor leider. Man schuldet es dem Leser, hier ins Detail zu gehen, damit dieser weiß, was die Romanfigur an Monte Carlo so interessant findet.

Das „Vista Palace“ ist ein 5-Sterne Hotel, was sicherlich auch nicht jeder Leser weiß (musste ich selbst erst mit Hilfe von Google herausfinden). Anstatt mit Hotelnamen um sich zu werfen, wäre es besser gewesen, zu beschreiben warum man z.B. dort übernachtet und nirgendwo anders. Das „Vista Palace“ ist bekannt für seinen Meerblick. Das könnte ein Grund sein – bitte nennen! – oder auch der Service etc. Welchen persönlichen Bezug hat der Protagonist zum Hotel? Gin Tonic schlürfen und den Hafen betrachten kann man auch woanders.

Was der Protagonist denkt und fühlt wird nur erzählt in Form von „bewundern“ und „geträumt“. Nichtssagende Adjektive.

Die Immobilien-Agentur lenkte mein Interesse bereits beim ersten Besuch auf eine Attikawohnung, in einer vor Kurzem erstellten Überbauung an wunderschöner Hanglage in Mandelieu-la-Napoule. Eine Dachwohnung im dritten Stock nach Süden orientiert, mit Meersicht und Blickrichtung von Nizza bis weit in den Westen: viereinhalb Zimmer, 120 Quadratmeter Wohnfläche und exklusiver Ausbaustandard mit großem Balkon.

Attika: wieder ein den meisten Lesern unbekanntes Wort. Es ist ein Fachausdruck der Architektur. Wer seine Leser nicht verwirren will, sollte die Wohnung, die den Protagonisten in Verzückung versetzt, lieber beschreiben. Was genau macht die Hanglage denn „wunderschön“? Schönheit liegt allein im Auge des Betrachters. Was macht den Ausbaustandard „exklusiv“ im Verhältnis zu anderen Wohnungen in Mandelieu-la-Napoule? (übrigens ein Ort mit 22 Tsd. Einwohnern, westlich von Cannes.) Erwähnenswert wäre es vielleicht noch, dass der Flughafen von Cannes direkt bei Mandelieu ist. Ob es Lärmprobleme gibt, weiß ich nicht. Evtl. Probleme mit dem Flughafen vor lauter Schwärmerei über die Lage ganz zu unterschlagen, wie es der Autor getan hat, halte ich für wenig sinnvoll.

Dann war es so weit.

Der Agenturleiter drückte mir ein letztes Mal die Hand. Würdevoll ruhten die Hausschlüssel auf dem roten Satinkissen. Außer den beiden Champagnergläsern, wir hatten soeben auf die Übernahme der Wohnung angestoßen, belebte nur noch ein Stoß Zeitungen aus der Region Nizza den edlen Klubtisch.

Wann genau ist ein Klubtisch „edel“? Wie sähe ein „unedler“ Klubtisch aus?

Die Romanfigur hat also einen Stoß Zeitungen aus der Region Nizza herumliegen. Was wird denn gelesen? La Provence? Nice Matin? The Riviera Times? Oder etwas Deutsches: Riviera Cote d’Azur Zeitung? Welche Zeitung man liest, lässt Rückschlüsse auf die Persönlichkeit zu. Die obige Beschreibung in Zusammenhang mit dem Klubtisch lässt leider den Verdacht aufkommen, dass der Autor wenig Recherche betrieben hat. Die Kulisse klingt nicht authentisch, sondern oberflächlich. Warum liegt dort ein ganzer Stoß an Zeitungen? Kam man nicht zum Lesen, liest man gerne mehrere Tageszeitungen auf einmal? Fragen über Fragen.

 Ein neuer Lebensabschnitt stand vor mir. Nicht Geldverdienen stand im Vordergrund. Durch den Verkauf eines Teils meiner Firma an meinen Kompagnon und die Dividenden, die ich als Mehrheitsaktionär weiterhin erhalte, bin ich finanziell völlig unabhängig.

Die neue berufliche Herausforderung sollte mir Genugtuung und inneren Frieden bescheren, wenn möglich im Einklang mit der Natur und wenn immer möglich in der landschaftlich reizvollen und durch Fruchtbarkeit gesegneten Provence.

Eine Annonce fesselte mein Interesse: Gesucht wurde ein Gutsleiter auf einem Weingut bei Tourrettes-sur-Loup. Der Name der Kontaktperson, Geneviève Ruipart – wahrscheinlich die Besitzerin des Weingutes – stand in bescheidenen Lettern am Fuße der Annonce.

Ungefähr dreißig Kilometer von meiner neuen Heimat entfernt lag das Weingut.

Schön, wenn Annoncen Interesse wecken. Wie und wo hat der Protagonist die Annonce gelesen? War er gezielt auf der Suche? Wie lange suchte er schon? Stapeln sich deswegen Zeitungen auf dem „edlen“ Klubtisch? Momentan kommt die Annonce wie ein Blitz aus dem heiteren Himmel daher. Eben noch mit dem Makler gesprochen, dann eine Rückblende auf die eigene Vergangenheit, und nun plötzlich die Annonce gelesen. Was sind „bescheidene“ Lettern, bzw. Buchstaben? Sind sie kleiner gedruckt als der Rest? Vielleicht kursiv?

Es war abends gegen fünf Uhr, als ich mit meinem Citroën-C5-Mietwagen auf den Kiesweg zum Weingut einschwenkte und ihn auf einem Seitenweg vor dem Eingangstor abstellte. Nicht ohne Grund fuhr ich unangemeldet und erst kurz vor Dunkelheit dort vorbei. Bevor weitere Schritte folgen sollten, wollte ich mir einen ersten Überblick über dieses Weingut verschaffen.

Die im März tief stehende Sonne ließ die herrliche Umgebung in berauschenden Abendfarben erscheinen. Das schmiedeeiserne Eingangstor hatte offensichtlich schon bessere Zeiten erlebt. Ein Torflügel ließ sich nicht mehr schließen und die Inschrift „Domaine Ruipart“, angerostet und leicht schief hängend, vermittelte den Eindruck eines abserbelnden Unternehmens.

Abserbeln ist wieder Schweizerdeutsch. Millionen anderer deutschsprachiger Menschen bevorzugen Wörter wie „in finanzieller Schieflage“ oder „mit finanziellen Problemen“.

Wie genau muss man sich eine „herrliche“ Umgebung und „berauschende“ Abendfarben vorstellen? Das sind nichtssagende Adjektive, die von Wortfaulheit künden. Die Beschreibung der Inschrift des Torflügels finde ich gut.

Dem Weingut vorgelagert war das Wohnhaus mit einem großen Kiesparkplatz und auf der anderen Seite des Platzes stand ein kleineres Gebäude, ein Gästehaus, so vermutete ich.

Ohne kleinkariert zu erscheinen, aber wie soll ich mir die Gebäude des Weingutes vorstellen? Es hat ein Wohnhaus, das aussieht wie …? Der zentrale Unterschied zwischen dem Wohnhaus und dem Gästehaus ist was? Der Kiesparkplatz ist groß im Verhältnis zu was? Wie sähe ein kleiner Kiesparkplatz aus?

Ein älterer roter Renault-Kangoo-Kastenwagen stand vor dem Eingang zum Wohnhaus. Etwas weiter zurück beim Gebäude in respektablen Dimensionen, ich vermutete die Kellerei, parkierten zwei weitere Fahrzeuge, ein älterer, weißer Peugeot-Kastenwagen und ein roter Toyota-Hi-Ace-Brückenwagen. Menschen sah ich keine, auch ein Hofhund gehörte offenbar nicht zur „Domaine Ruipart“, sicherlich hätte er mein Näherkommen mit lautem Gebell angekündigt und mich veranlasst, den Beobachtungsstandort vorzeitig zu verlassen.

Hier sind erstmals ein paar Details. Es steht nicht einfach nur ein Auto, sondern ein roter Renault-Kangoo-Kastenwagen vor dem Haus. Das ist konkret genug. Leider kommt gleich danach ein Tiefschlag mit den „respektablen Dimensionen“. Ich schlage folgenden Test vor: Alle Bekannten fragen, was jeder für eine „respektable Dimension“ hält. Das Ergebnis dürfte überraschen.

Das Weingut erstreckt sich in westlicher Richtung, die Rebenreihen entschwanden meinem Blick durch das Terrain, welches leicht abfiel. Die Lage dieses Weingutes war phänomenal, großzügig in der Dimension, umgeben von Gebüschen und Schatten spendenden Pinien mit einer fantastischen Sicht auf das weit im Süden tiefblau schimmernde Mittelmeer. Eigentlich müsste man hier nicht Wein produzieren, eine Siedlung mit jeglichem Luxus fände auf diesem erhobenen Plateau ihre potenten Käufer.

 Es ist schon schlimm. Das Weingut hat also eine „phänomenale Lage“ und es ist „großzügig in der Dimension.“ Stünde das in einem bebilderten Hochglanzprospekt, wüsste jeder etwas damit anzufangen. Da es sich hier aber um den Text aus einem Buch handelt, sind das nur vage Begriffe, die man so oder so auslegen kann. Das gleiche gilt für die „fantastische“ Sicht. Was ist eine „unfantastische“ Sicht? Wenn man die Verneinung bildet, merkt man die Unbestimmtheit der Begriffe:

„Die Lage dieses Weingutes war mies, klein in der Dimension, umgeben von Gebüschen und Schatten spendenden Pinien mit einer schlechten Sicht auf das weit im Süden tiefblau schimmernde Mittelmeer.“

Besser wird es nicht, und als Leser kann man sich genauso wenig vorstellen, wieso das Weingut mies, kleindimensioniert und mit schlechter Sicht ausgestattet ist. Das liegt daran, dass hier nur erzählt wird, mit Hilfe von belanglosen Adjektiven. Deswegen kann man aus einer phänomenalen Lage problemlos eine schlechte machen. Show don´t tell, ist darum mit Recht auch die erste Forderung an einen Autor.

Tourrettes-sur-Loup ist übrigens mehr für die Veilchenzucht bekannt und nicht für den Weinbau. Die Domaine Saint-Joseph hat dort gerade einmal 1 Hektar Anbaufläche. Das ist wenig. Die doppelte Fläche existiert in Saint-Paul-de-Vence, weiter südlich. Auch dies spricht dafür, dass Tourettes nicht gerade die erste Wahl ist und/oder geeignete Flächen fehlen. In den Ort ein „großzügig dimensioniertes“ Weingut hinein zu denken, halte ich deshalb für gewagt.

Der Autor hat eine Schwäche für das Wort „tiefblau“. Das Mittelmeer wird grundsätzlich immer mit dem Adjektiv „tiefblau“ versehen (siehe Fahrten durch Italien), egal zu welcher Tageszeit und Einfallswinkel des Sonnenlichts. Es ist also nie hellblau, oder türkis, die Wellen im Abendwind sind nie mit weißen Schaumkronen bedeckt, es gibt kein rötlich schimmerndes Wasser im Licht des Sonnenuntergangs, der herabsinkenden Kugel, rotglühend wie ein überreifer Pfirsich.

Es gibt keine langen Schatten, die wie Monsterfinger von der kommenden Dunkelheit zeugen, es riecht nicht nach den Weinberg-Hyazinthen und dem Löwenzahn, die gewöhnlich an Weinbergen wachsen, umschwärmt werden von Bienen. Der Leser hört nicht das monotone Brummen der fleißigen Tiere, das trotz eines eifrigen Kommen und Gehens immer die gleiche Lautstärke besitzt. Man sieht keine tanzenden Fliegen, die in einem Schwarm stets auf der gleichen Stelle auf- und absteigen. Sie nerven Radfahrer, die in den letzten Strahlen der untergehenden Sonne keuchend mit offenem Mund den Weinbergweg hinaufstrampeln um ihr Ziel zu erreichen, dabei leider viele der Plagegeister verschlucken. Man spürt in der Beschreibung nicht das zarte Streicheln der Abendbrise auf den Wangen, die dem verschwitzten Gesicht des Wanderers Kühlung verschafft.

Niemandem wird erklärt, dass die Weinberge in der Abenddämmerung vielleicht wie mit einem goldenen Flies bedeckt aussehen, das Licht eine ungewöhnliche Weichheit, ja geradezu Zärtlichkeit besitzt. Reife Trauben fühlen sich prall in den Fingern an, sie hinterlassen auf der Zunge eine Süße, die keine Schokolade erreicht. Man schmeckt förmlich die Sonne, stellt sich den daraus produzierten Wein vor, wie er ölig im Glas schimmert. Das Bouquet hat eine erdige Duftnote, der geringe Säuregehalt tänzelt nur leicht auf der Zunge, es überwiegt ein fruchtiger Eindruck. Der Protagonist fragt sich vielleicht, wie der Wein nach Ende der Reifezeit in alten Eichenfässern mundet. Er hat bereits den Duft der Kelterei in der Nase, diese Mischung aus zerquetschten Trauben, gärendem Saft und Holzfässern.

Manchmal sind Beschreibungen eher unwichtig, aber in diesem Fall sind sie für den Plot überlebensnotwendig. Der Protagonist steht nämlich davor, die Manager-Position in dem Weingut anzunehmen. Er entscheidet sich aufgrund der Lage für die Annahme der Stelle, egal zu welchem Gehalt, notfalls auch umsonst. Er hat sich in das Gut „verliebt“ und will mithelfen, es von den finanziellen Problemen zu erlösen. Dem Leser schuldet man es deshalb ausführlich zu beschreiben, was die Romanfigur an dem Weingut so toll findet. Sonst kann man dessen Entscheidung – welche das Romangeschehen erst ins Rollen bringt, eine Schlüsselszene großer Tragweite – nicht nachvollziehen.

Es wäre eine gute Recherche gewesen, ein Weingut zu besuchen, sich Notizen zu machen über das Licht zu verschiedenen Tageszeiten. Man hätte aufschreiben müssen, wie es dort riecht, wie man sich fühlt, wenn man die Stufen in den Weinkeller hinabsteigt. Welcher Sinneseindruck herrscht vor? Wie schmeckt Wein am Anfang des Gärprozesses, wie in fortgeschrittenem Stadium? Wie riecht es im Weinberg, was hört man dort? Was für Blumen wachsen am Wegesrand, wonach duften sie? Wie fühlen sich die Trauben an, wie die Rebenblätter? Welche dieser vielen Sinneseindrücke würden mich dazu bringen, mich in ein Weingut zu verlieben? Und zu guter Letzt: Wie kann ich das in einem Roman formulieren, damit der Leser sagt: Ja, ich verstehe, dass man hier um jeden Preis Manager sein will.

So bleibt, um in der Weinsprache zu bleiben, ein saurer Nachgeschmack im Abgang übrig. Der Autor ist nicht in der Lage ein Bild des Weingutes zu präsentieren, das alle fünf Sinne erfasst. Er verwendet meistens nur allgemeingehaltene Adjektive, die aufgrund ihrer Unklarheit im Ausdruck kein Bild beim Leser hinterlassen. Oder anders ausgedrückt: Er kann nur erzählen, aber nicht zeigen.

Facebooktwitterpinterestby feather

Bildquelle

  • Wine: Mister GC freedigitalphotos.net

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert