Eine gute Story lebt von dem Ort und der Zeit, in der sie stattfindet. Die Beschreibung soll den Leser in die Handlung hineinziehen. Wie schafft man das, ohne langweilige Beschreibungen abzuliefern, die klingen wie aus einem Reiseführer? Nachfolgend gebe ich einige Vorschläge.
Fakten oder nicht Fakten?
Interessieren den Leser Fakten? Ich lehne mich mal aus dem Fenster und sage knallhart: Nein! Nehmen wir an, die Romanheldin betritt ein Restaurant und dem Leser wird der Handlungsort folgendermaßen dargestellt:
Der Saal maß zwanzig Meter in der Länge und sechs in der Breite. Er war gefüllt mit fünfundzwanzig Tischen, auf denen jeweils eine Vase mit roten Blumen auf gestickten Tüchern stand. An der Wand aus einer weißen Raufasertapete hingen vier Landschaftsbilder, die Küstenszenen zeigten. Die Holzstühle aus Eiche sahen solide aus. Der Tresen, mit einer Länge von zehn Metern, glänzte metallisch. Den Besucher erwartete eine saubere Atmosphäre und diese ließ Rückschlüsse auf das Speisenangebot zu.
Was ist an dieser Beschreibung falsch? Eigentlich nichts. Die Szene passt gut in einen Restaurantführer. Wer wissen will, wie es dort aussieht, bekommt einen treffenden Überblick. Es fehlt zwar noch der wichtigste Punkt, das Urteil über die Qualität des Essens, aber ansonsten kommt man gut klar damit.
Welche Gefühle haben Sie, wenn Sie den obigen Absatz lesen? Ich denke, keine. Warum ich so denke? Der Text ist informativ und vor allem noch eines – langweilig. Er passt treffend in einen Restaurantführer, da ist er wunderbar aufgehoben, doch was hat er in einem – nehmen wir als Beispiel – Krimi zu suchen? Dort geht es um Spannung, sich sträubende Nackenhaare, den Wunsch, schnell die Seite umzublättern um zu erfahren, wie es weitergeht. Was steuert der Text zur Atmosphäre bei? Nichts!
Das ist das zentrale Problem. Deswegen stehe ich zu der Aussage, dass den Leser Fakten wenig interessieren. Einschränkung: Ihn interessieren nur die Fakten, die für das Verständnis der Handlung notwendig sind und welche zur Atmosphäre beitragen.
Was ein Krimi benötigt, ist Stimmung, Atmosphäre. Diese erfassen wir mit allen fünf Sinnen. Stellen wir uns also vor, dass eine ermittelnde Beamtin das Restaurant betritt. Welche Gefühle hat sie in diesem Moment? Was brachte sie dazu, den Handlungsort zu betreten? Wie riecht es dort? Nach Essen, nach frisch geputztem Boden, weil der Laden gerade erst aufgemacht hat und noch kein Gast anwesend war? Sieht man Kellner, einen Typ an der Bar? Was für Blicke werfen sie der Besucherin zu? Freundlich, feindselig? Was tun die Leute? Stehen sie in der Gegend herum, gelangweilt? Sind sie vielleicht angespannt, scheinen etwas zu erwarten?
Eine weitere Frage! Was muss der Leser über die Inneneinrichtung des Restaurants wissen? Jedes Detail, die Farbe der Blumen auf dem Tisch? Die Raufasertapete? Es kommt darauf an. Es gibt ein schönes Beispiel aus diversen Schreibratgebern, das ich hier vorstellen möchte:
„Erzählen Sie nichts über einen Revolver, der an der Wand hängt, wenn er nicht in einer der folgenden Szenen losgehen soll!“
Ein anderes Beispiel betrifft die Klage eines Editors. In einem Roman ging es um eine Rettungsaktion im verschneiten Gebirge. Der Gegenspieler des Helden warnte ausdrücklich vor Lawinen, die in dieser Jahreszeit drohten. Man solle deshalb lieber auf den Aufstieg verzichten oder ihn auf später verschieben usw. In der folgenden Handlung las der Editor über den beschwerlichen Aufstieg in die Berge, das Eis und den Schnee. Nach jeder Seite wartete er auf die Lawine.
Wissen Sie, wann die Lawine kam? Überhaupt nicht! Die Rettungsaktion verlief ohne größere Probleme. Was sagte der Editor dazu? Er fühlte sich betrogen.
Der Autor hat vielleicht anlässlich der Recherche herausgefunden, dass an dem Handlungsort eine starke Lawinengefahr herrscht und fühlte sich verpflichtet, diesen Punkt zur Wahrung der Realität zu nennen (und vielleicht auch um zu beweisen, wie gut er recherchiert hat 🙂 ) Aber es gibt zwei Realitäten: Die echte und die in der Story. Wenn also irgendwo Lawinen drohen, erzählen Sie nicht nur darüber, sondern lassen Sie diese auch auf ihre Protagonisten herabrollen.
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