Konflikte! Wer denkt nicht mit einem gewissen Grausen an dieses Wort? Eigentlich – geben Sie es zu – sind wir alle konfliktscheu. Wir weichen Konflikten aus, versuchen ständig Wogen zu glätten, geben nach um des lieben Friedens willen. Wir bevorzugen ein geregeltes Dasein.
Natürlich ist das alles in Ordnung und vernünftig. Nur, falls Ihre Romanfiguren diese Einstellung haben und Sie darüber ein Buch schreiben wollen, bekommen Sie ein Problem: Niemand will es lesen!
Nehmen wir einmal folgende Handlung an:
Ein junges Paar, Sandra und Thomas, planen am Wochenende einen Kinobesuch. Einen speziellen Film haben sie noch nicht ausgesucht, sie gehen einfach hin und wollen sich von den Plakaten im Kino inspirieren lassen. Thomas wird magisch von einem bestimmten Plakat angezogen, das bei Sandra ein gewisses Stirnrunzeln auslöst. Titel und Bilder wecken in ihr Eindrücke von ratternden Maschinengewehren, Granatenexplosionen usw. Viel schöner ist ein anderes Plakat, das ein Mädchen im Arm eines hübschen jungen Mannes zeigt. Der Titel verspricht die Geschichte über eine Liebe, die sich gegen eine böse Umwelt behaupten muss. Das ist doch viel interessanter! Thomas hingegen zieht die Augenbrauen hoch. Wieder so eine Liebesschnulze. Immer die gleiche fade Suppe. Zwei lernen sich kennen, werden durch irgendetwas getrennt und finden sich erst zum Schluss wieder, gestehen einander ihre Liebe. Gähn!
Was haben wir in dieser kleinen Szene? Die Grundvoraussetzungen für einen Konflikt! Wie würde man es in der realen Welt lösen? Entweder geht jeder in einen anderen Kinosaal oder einer gibt nach und betrachtet aus Liebe zum Partner diesen blöden, total langweiligen Film.
Eine Lösung für einen Roman? Nein! Es sei denn, Sie wollen einen Ersatz für eine Schlaftablette schreiben. Bei Konflikten geht es nicht primär darum, dass die Romanhelden von irgendwelchen Bösewichten attackiert werden, sich wie James Bond mit feindlichen Geheimagenten herumschlagen. Sie brauchen keinen neuen Frodo zu konstruieren, der es den bösen Orks zeigt. Fangen Sie einige Stufen tiefer an.
Konflikte entstehen dadurch, dass jemand nicht das bekommt, was er will.
Thomas nicht seinen spannenden Abenteuerfilm und Sandra nicht ihren Film über Liebe, Trennung und andere tiefe Gefühle. Ein Autor muss gemein sein, hinterhältig und verschlagen gegenüber seinen Charakteren. Sie dürfen nie das bekommen, was sie wollen. Thomas oder Sandra könnten das Gefühl haben, in der Vergangenheit schon viel zu oft nachgegeben zu haben. Und überhaupt! Da gab es ja noch die Geschichte im letzten Monat, auf der Party von X, wo Thomas immer mit dem blonden Gift aus der Nachbarschaft herumhing! Nie hielt er es bisher für nötig, sich zu entschuldigen! Dauernd wird nur das gemacht, was er will! Heute ist Schluss mit Nachgeben! Thomas geht jetzt entweder in den Liebesfilm oder …
Oder was? Beziehungskrise, vielleicht sogar das Ende? Alles ist denkbar. Der Konflikt wird verschärft, wenn es für eine Seite aus bestimmten Gründen völlig unmöglich ist, nachzugeben. Sandras Freundinnen lachen sich beispielsweise schon kaputt über ihre Nachgiebigkeit, halten sie für eine kleine Maus, ein willenloses Anhängsel von Thomas. Der wiederum bekommt in letzter Zeit Bemerkungen zu hören, in denen das Wort „Pantoffelheld“ auftaucht. Das passierte erst neulich, in der Umkleidekabine nach dem Fußballspiel.
Als Autor kann man die Sache noch um einiges verschärfen, Thomas und Sandra beispielsweise zusammen mit ihrer Clique im Kino auftauchen lassen. Alle stehen neugierig herum, beobachten den Streit, warten auf den, der nachgibt. Die Mitglieder der Clique wollen ihre Vorurteile bestätigt sehen: Sandra ist die Sklavin ihres Freundes, Thomas nur ein Waschlappen. Kann unter diesen Rahmenbedingungen einer der beiden ohne Gesichtsverlust nachgeben? Nein!
In diesem Moment sollte das Herz des Autors höher schlagen, er sich vergnüglich die Hände reiben. Der Plan ist aufgegangen, die böse Saat trägt reiche Frucht. Die Romanfiguren stehen in der Ecke, können dem Konflikt nicht ausweichen. Sie müssen ihn austragen, mit voller Wucht. Was in der Praxis bedeutet, dass in der Beziehung zwischen Sandra und Thomas viel Porzellan zerschlagen wird. Herrlich, oder? Als Abfallprodukt des Konflikts bekommt der Autor noch etwas anderes geliefert: Spannung! Der Leser fiebert mit, blättert die Seite um. Wie geht es jetzt weiter mit den beiden, fragt er sich.
Ein Autor darf zu seinen Romanfiguren niemals nett sein. Er muss hinterhältig und gemein sein, sie an den Rand des Nervenzusammenbruchs bringen. Leben Sie Ihre dunkle Seite aus, machen Sie die Typen fertig, bis sie heulend in der Ecke liegen!
Die Erlösung dürfen Sie den Figuren nur an einer Stelle geben: Auf der letzten Seite, in der Thomas und Sandra wieder zusammen sind. Wie die beiden das geschafft haben? Steht auf den vielen Seiten davor! Es ist Ihr Job, die zu füllen, nicht meiner.
Übersicht über die Möglichkeiten, Konflikte einzuführen oder zu verschärfen:
- Den Romanfiguren gegensätzliche, einander ausschließende Ziele geben (siehe Kino)
- Den Romanfiguren die gleichen Ziele geben, aber unterschiedliche Ansichten über die Wege, sie zu erreichen
- Sorgen Sie dafür, dass eine Romanfigur jemand ist, der erst handelt und dann denkt, während deren Partner jemand ist, der alles genau planen will bzw. gar nicht anders kann
- Sorgen Sie für unterschiedliche Lebenshintergründe. Aufgrund der bisherigen Erfahrungen, der Erziehung, ist für den einen Charakter etwas sehr wichtig, während es dem anderen absolut nichts bedeutet
- Sorgen Sie dafür, dass die Romanfigur mit ihren schlimmsten Ängsten konfrontiert wird
- Geben Sie der Figur ein Ziel, das er unbedingt erreichen will, ohne Rücksicht auf Probleme
- Sorgen Sie für Frust auf dem Weg zum Ziel, da die Hindernisse immer größer werden, vermeintliche Lösungen zerplatzen wie Seifenblasen
- Die Charaktere müssen auf ihre Schwächen angewiesen sein, nicht auf Stärken
- Geben Sie den Lesern Konflikte, die sie aufgrund der Persönlichkeit der Figuren erwarten aber überraschen Sie die Leser (oder die Romanfigur) auch mit unerwartet auftauchenden Konflikten, die alles durcheinanderbringen
- Führen Sie Unsicherheiten ein. Kann man einem alten Freund/Freundin wirklich trauen? Treibt er/sie ein falsches Spiel? Bringt das nächste Handlungsziel die erwartete Lösung oder nur einen wertlosen Sieg über ein Miniproblem?
- Bringen Sie ihre Figur dazu, sich um etwas/jemanden zu sorgen. Danach bringen Sie genau dies in Gefahr
- Erhöhen Sie den Konfliktlevel! Sorgen Sie dafür, dass die Romanfigur sich verlassen fühlt, unverstanden von alten Freunden, der eigenen Familie, vielleicht sogar entsetzt über sich selbst ist
- Lassen Sie die Figur verzweifelt über die eigene Unfähigkeit sein, den Konflikt zu lösen
Der wichtigste Tipp von allen: Lösen Sie den Konflikt nicht zu früh auf! Warten Sie bis zur letzten Seite (Okay, meinetwegen auch die vorletzte 🙂 )
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