Hallo zusammen! Wenn man eine Idee für eine spannende Story sucht, einen Plot erschaffen will, gibt es häufig stets die gleichen Probleme. Ich will dies zum Anlass nehmen, die Kreation eines Thrillers als Übung durchzuspielen.
Was soll man nehmen? Sehen wir uns in alter Literatur um. Wie wäre es mit: eine junge Prinzessin wird entführt und in einen hohen Turm eingesperrt? Wie? Keine Märchen? Okay, äh, dann folgende Idee: Ein Geschwisterpaar wird in der Wildnis ausgesetzt und muss ums Überleben kämpfen!
Sorry, schon wieder die Gebrüder Grimm.
Aber man kann die alten Geschichten als Vorlage benutzen und in die Moderne übertragen. Bleiben wir bei der Entführung eines weiblichen Teenagers. Für die Arbeitsversion nenne ich sie Rapunzel. So hat sie vorläufig einen Namen, wirkt vertraut und umtaufen kann man die Kleine später immer noch. Sie soll natürlich weder eine Prinzessin sein noch in einen hohen Turm gesperrt werden. Soweit, so gut. Oder auch schlecht, denn jetzt beginnen die Probleme erst.
Wo entführt man am besten Rapunzel? Die junge Dame könnte in der Stadt wohnen. Problem: Sie kennt sich dort gut aus und dürfte immer von einem Rudel Freundinnen umgeben sein. Auch wird eine Entführung ohne Aufsehen in der Stadt schwierig werden und wir wollen der Protagonistin nicht gleich unterstellen, in finsteren Gassen einsam unterwegs zu sein. Unser Bösewicht darf ebenfalls nicht am Anfang scheitern, denn es müssen viele Buchseiten gefüllt werden.
Also entführen wir Rapunzel auf dem Land, da gibt es genug einsame Gegenden, die man beim Spazierengehen betritt. Wie soll sie dahin kommen? Verwandtenbesuch wäre eine Möglichkeit. Problem: Im Vergleich zur Stadt ist es auf dem Land für einige Teenager eher langweilig. Warum ist die junge Dame dann dort? Idee: Sie versteht sich mit ihren Eltern nicht, aber mit der Tante, die einen kleinen Reiterhof führt.
Unbewusst sind durch diese Ideen bereits einige Charakterzüge von Rapunzel und anderen Beteiligten festgelegt:
- Sie liebt Pferde
- Sie versteht sich mit ihren Eltern nicht (Wieso und weshalb muss noch definiert werden. Liegt es an den Eltern oder ist Rapunzel eine arrogante Zicke?)
- Sie mag ihre Tante (Wieso? Tante netter als Eltern?)
Die Überlegungen könnten also in folgende Richtungen gehen: Rapunzel ist eine verwöhnte und arrogante Zicke. Damit ist die Rolle der Eltern als bedauernswerte Personen vorgezeichnet. Da die junge Dame aber entführt werden soll, wäre es besser, wenn der Leser für sie Sympathien empfindet. Das führt zu Problemen mit den Eltern. Man kann es sich leicht machen und sie in lieblose Wesen verwandeln, die an der Flasche hängen und ihre Tochter vernachlässigen. Das ist jedoch billig und klischeehaft. Realistischer wäre für beide ein Vollzeitjob und damit verbunden wenig Zeit für den Nachwuchs. Ein wenig zickenhaftes Benehmen kann mit in diesem Zusammenhang angesichts des Alters von vielleicht 17 Jahren unserer Rapunzel zugestehen und in ihren Charakter einbauen.
Die Tante bleibt übrig. Sie leitet den Reiterhof und kann bei der Arbeit im Stall oder dem Striegeln der Pferde immer ein offenes Ohr und einen guten Ratschlag für Rapunzel übrig haben. Deshalb verstehen sich beide gut und unsere Teenagerin tauscht das quirlige Stadtleben gern gegen die Landluft. Außerdem liebt die junge Dame Pferde. Geschickt verpackt, glaubt das der Leser.
Jetzt geht es an das Feintuning des Charakters von Rapunzel. Dabei kann eine Checkliste wertvolle Hilfe leisten. Die ersten Seiten des Thrillers müssen sich aufgrund der getroffenen Festlegungen mit folgenden Themen beschäftigen:
- Rapunzel in der Stadtumgebung schildern, im Gespräch mit Freundinnen zeigen, den Konflikt mit den Eltern definieren bzw. dem Leser glaubwürdig vorstellen
- Die Protagonistin kurz auf dem Weg zur Tante zeigen, ihre Gedanken und Vorstellungen von schönen Ferien schildern
- Glaubhaft erzählen, wie wohl Rapunzel sich im Umgang mit Pferden fühlt, die Tante als gütiges Wesen dem Leser präsentieren
Beim nächsten Mal spinnen wir den Plot um die Entführung weiter.
by