Wie ist ein Krimi aufgebaut? Halten Autoren sich an die üblichen Strukturen eines Romans? Das ist eine interessante Frage, der ich nachging. Als Studienobjekt nahm ich einen Roman von Meg Gardiner „Die Strafe“. Starten wir also die Anatomie eines Krimis
Üblicherweise, folgt man der einhelligen Literatur, besitzen Romane eine bestimmte Struktur. Randy Ingermanson beispielsweise predigt mit der Schneeflockenmethode, dass ein Roman aus „3 Desastern und einem Ende“ bestehen soll. Üblicherweise sind diese Desaster folgendermaßen verteilt:
- 25 % Marke erstes Desaster bzw. der Inciting Incident, der alles in Bewegung setzt
- 50 % Marke zweites Desaster läutet den zweiten Akt ein
- 75 % Marke drittes Desaster und Beginn des dritten, finalen Aktes
- 90 bis 98 % Höhepunkt, finale Auseinandersetzung zwischen Gut und Böse
- 99 bis 100 % Schlussszene, die den neuen Weg des Protagonisten anzeigt
Das ist die Theorie, wobei natürlich die Prozentwerte nicht als absolute Grenze zu verstehen sind. Sie bedeuten nur, dass man als Autor in der Nähe dieser Werte entsprechende Szenen einplanen soll. Hat Meg Gardiner sich daran gehalten?
Der Roman (Taschenbuchausgabe 2011) besitzt 40 Kapitel , beginnt auf Seite 7 und endet auf Seite 479. Rechnen wir also durch. Mit den Kapiteln als Maßstab wäre bei Kapitel 10 die 25 % erreicht und bei den Kapiteln 20 und 30 die anderen. Mit dem Maßstab der Seiten kommen wir auf die Zahlen 118, 236 und 354.
Damit haben wir die ersten Anhaltspunkte und können auf die Suche gehen. Der Krimi handelt von der Protagonistin Jo Beckett, die als forensische Psychologin arbeitet. Sie wird zum Flughafen gerufen um dort jemanden zu untersuchen, der im Flugzeug randalierte und in großer Höhe die Türen öffnen wollte. Zur allgemeinen Überraschung kann sich der Mann, ein gewisser Kanan, an nichts erinnern.
Das Rechnen mit Kapiteln bringt wenig, denn Kapitel 10 startet bei Seite 132, knapp 28 %, und die Handlung ist dort schon mitten im Gang. Also bleiben nur die Seiten übrig. Die eigentliche Handlung , die erste Katastrophe, startet mit der Flucht von Kanan aus der Klinik. Beckett findet heraus, dass er zwei Menschen töten will, die er für seinen Zustand verantwortlich macht. Das passiert auf den Seiten 81 bis 88, also ungefähr bei 19 % der Handlung. (gerechnet mit 88 Seiten)
Auf den Seiten 235 bis 241 wird Beckett von Kanan gejagt, er rast mit dem Auto auf sie zu. Das passt gut zur 50 % Marke, das Leben der Protagonistin ist in Gefahr, der Patient dreht den Spieß um und jagt die Psychologin.
Bezüglich der 75 % Marke tat ich mir ein wenig schwer. Auf den Seiten 287 bis 300 wird Beckett von der angeblichen Frau Kanans angegriffen. Auf den Seiten 325 bis 338 erfolgt ein zweiter Angriff an einem anderen Ort und schließlich fasst die Frau einen Mordplan auf den Seiten 339 bis 351. Geht von der Schwere der Handlung aus, so wäre der Mordplan die größere Katastrophe. Die Seitenzahl passt zur 75 % Marke.
Insgesamt kann man also davon sprechen, dass das Grundgerüst eingehalten wurde. Die 25 % Marke wurde etwas vorgezogen, was aber zur Handlung passt. Mehr Seiten mit Text zu füllen, nur um genau die 25 % zu treffen, wäre schwierig gewesen. Die anderen Sollstellen für entscheidende Ereignisse passen ins Schema.
Probleme hatte ich persönlich mit dem Schreibstil der Autorin. Irgendwie hat sie das mit der Auflockerung des Textes durch Metaphern und Similes falsch verstanden. Was anderen Autoren leicht von der Hand geht, klingt bei Meg Gardiner sehr gekünstelt und teilweise völlig falsch.
Seite 202. „Sie empfand eine flüssige Furcht, die über ihre Haut strömte wie Quecksilber.“
Seite 209: „Plötzlich bekam ihre quecksilbrig kühle Furcht Klauen und Zähne.“
Wie die meisten Leser habe ich keine Ahnung, wie sich Quecksilber anfühlt, wenn es über die Haut läuft. Angesichts der hohen Giftigkeit des Stoffes verspüre ich auch wenig Lust, es auszuprobieren. Vergleiche gehen ins Leere, wenn sie keiner versteht. Eine „quecksilbrig kühle Furcht“ finde ich persönlich einfach nur albern.
Seite 287: „Wie bunter Löwenzahnflaum schimmerten Ampeln durch den Dunst.“
Löwenzahn ist je nach Blütenstadium gelb oder weiß. Wenn mit Flaum das finale Stadium gemeint ist, wenn Kinder Löwenzahn als Pusteblume nutzen, dann taucht vor meinem geistigen Auge nur die Farbe Weiß auf. Wo ist die Buntheit von Löwenzahnflaum?
„Kalter Nebel senkte sich auf das Viertel herab.“ (Ebenfalls S. 287)
Das klingt wie der berüchtigte weiße Schimmel, auf dem die Prinzessin durch den Wald reitet. Nebel ist immer kalt, ich habe noch nie warmen Nebel erlebt, denn das wäre Dampf. Der steigt aber nach oben und senkt sich nirgendwo herab.
Meg Gardiner fällt bezüglich des Schreibstils bei mir durch. Besonders im Vergleich zu Lisa Gardner.
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