In den Feuilletons der Zeitungen Telegraph und Guardian schlägt momentan eine Ankündigung von Amazon hohe Wellen. Im Programm KDP-Select plant Amazon eine Änderung der Bezahlung für Autoren. War bisher die Zahl der ausgeliehenen Bücher ausschlaggebend, soll es nun die Anzahl der Seiten sein, welche Kindle-Nutzer tatsächlich lesen.
Im Details plant man folgendes: Nehmen wir an, ein Autor bekam pro verliehenem Buch eine Tantieme von 1 Euro. Steigt nun ein Kindle-Nutzer bereits nach einem Viertel des Buches aus – warum auch immer – bekommt der Autor nur noch 0,25 Euro.
Diese Ankündigung schlägt hohe Wellen aus zwei Gründen. Erstens haben Autoren Angst, dass dies auch für andere Bereiche (außerhalb KDP-Select) gelten soll. Andererseits spricht diese Ankündigung Bände über die Menge der Daten, welche Amazon von seinen Nutzern zu sammeln fähig ist. Wie war das nochmal mit Big Brother?
Angeblich erfolgt die Umstellung des Systems auf Wunsch vieler Autoren, die eine Bindung ihrer Tantiemen an die Länge des Buches und der Menge des gelesenen Volumens verlangen. Um Missbrauch hinsichtlich der Gestaltung der Kindle-Bücher vorzubeugen (Texte arg vergrößern, viele Leerzeilen), zählt Amazon intern nach einem sogenannten „Kindle Edition Normalised Page Count“ (KENPC). Jedes Buch wird, unabhängig von der Gestaltung durch den Autor, intern in eine Anzahl KENPC-Seiten umgewandelt. Nur die Anzahl dieser gelesenen Seiten zählt für die Tantiemen. Ebenso muss man eine bestimmte Menge Zeit auf einer Seite verbringen, damit diese als „gelesen“ zählt. Einmal „durchwischen“ funktioniert also nicht.
Das neue System hat einen interessanten Effekt. Der Autor eines erfolgreichen Buches mit 100 Seiten bekommt weniger Geld als der Autor eines erfolgreichen Buches mit 200 Seiten. Führt dies nun zu Kindle-Büchern mit mehr Seiten? Sehen wir das Ende der Minibücher mit ca. 30 bis 50 Seiten?
Eine Verbesserung der Qualität ergibt sich durch die neue Regelung nicht automatisch. Autoren von Büchern ohne Leser erhalten bisher schon keine Tantieme. Schlechte Bücher sprechen sich herum und die Anzahl der Ausleihungen bei KDP-Select sinkt somit.
Als Negativbeispiel für dieses System wird das Buch „Der Distelfink“ der Autorin Donna Tartt genannt. Sie gewann für dieses Buch den angesehenen Pulitzer-Preis. Der Ebook-Reader Kobo gab bekannt, dass nur 44 % der Leser, die mit einem Kobo das Buch herunterluden, es auch zu Ende gelesen haben. Welche Rückschlüsse soll nun die Autorin aus dieser Tatsache ziehen? Das Buch hat einen international bedeutenden Preis gewonnen, es verkauft sich insgesamt gut (Amazon Verkaufsrang aktuell 4.945 in Bücher). Liegt die geringe Quote an Nutzern bei Kobo nun am Buch oder beispielsweise dem persönlichen Hintergrund der Kobo-Nutzer? (z.B. wollen eher kürzere Bücher, nur was für zwischendurch etc.)
Spinnen wir das System von Amazon einmal weiter.
Ich gehe ins Kino und merke nach einer halben Stunde, dass mir der Film nicht gefällt. Gehe ich dann zur Kasse und verlange mein Geld zurück mit Ausnahme des anteiligen Preises für 30 Minuten?
Ich kaufe einen Song, nach der ersten Minute finde ich ihn nicht mehr so toll und gebe ihn deshalb zurück, bzw. bezahle nur die eine Minute?
Beim Dönerladen schmeckt es mir unerwartet nach drei Bissen nicht mehr und ich gebe den Rest an den Verkäufer zurück?
Das Frühstücksbrötchen ist nicht knusprig genug, was ich erst nach dem Aufschneiden merke, deswegen gehe ich zurück zum Bäcker und …
Die Beispiele lassen sich ewig fortsetzen. Amazon übertreibt meiner Meinung nach.
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