iBoy – Ein Jugendroman oder Schleichwerbung?

Neulich zeigte man mir kopfschüttelnd den Roman „iBoy“ des englischen Autors Kevin Brooks. Das Buch trägt den Aufkleber „Nominiert für den Deutschen Jugendliteraturpreis“. Nun, ich dachte mir, dass dies bestimmt ein Gütesiegel sei. Umso unverständlicher war die Reaktion eines Angehörigen der Zielgruppe, der lieber „Der Adler der Neunten Legion“ von Rosemary Sutcliff lesen wollte. „iBoy“ landete unberührt auf dem Stapel der Rückgaben für die Stadtbücherei. Dabei hatte die Leihfrist gerade erst begonnen.

Neugierig las ich die Rückseite:

Ein mörderisches Viertel. Ein iPhone, das aus dem dreißigsten Stock fällt. Ein Junge, der auf einmal Superkräfte hat. Ein Mädchen in Not. Die Entscheidung zwischen Liebe und Rache. Und tödliche Gefahr.

Aha!  Das Buch beginnt damit, dass einem Jungen ein iPhone auf den Kopf fällt. Wir erfahren sogar den genauen Typ. Ein iPhone 3GS, 135 Gramm leicht, Maße 115,5 x 62,1 x 12,3 mm. Geil! So viele Infos gleich auf Seite 1! Dazu nennt der Autor noch die Aufprallgeschwindigkeit von 124 km/h und netterweise noch die physikalische Formel der Geschwindigkeit eines in einem Gravitationsfeld frei fallenden Körpers. Mit dem für unseren Planeten gültigen Wert von 9,81m pro Quadratsekunde rechnete ich natürlich gleich die Fallhöhe aus. Das iPhone fiel aus einer Höhe von mehr als 60 Metern! Wow, wozu der Physikunterricht damals in der Schule doch alles nützlich war! Danke, Kevin Brooks!

Tom, unser Held, wird am Schädel getroffen, am Pterion. Auf Seite 17 erklärt der Autor freundlicherweise, dass dies die Stelle ist, wo sich Stirn-, Scheitel-, Schläfen- und Keilbein treffen. Gerne hätte ich noch gewusst, was ein Keilbein ist, aber gerade diese wichtige Info steht nicht im Buch.

Angestrengt stelle ich mir vor, was ein Objekt, welches einen Kinderschädel mit 124 km/h trifft, dort für gewaltige Schäden anrichtet. Aber auf Seite 18 erfahre ich, dass alles glatt verlief. Die Neurochirurgen haben alles gelöst, nur winzige iPhone-Splitter sind im Gehirn verteilt. Tja, da muss ein ehemaliger Rennfahrer doch verdammtes Pech gehabt haben! Helm auf, mit viel weniger Geschwindigkeit beim Skifahren gegen einen Felsen geprallt und Koma! Das bei Tom alles glatt lief, lag vermutlich nur am iPhone. Es ist bestimmt ganz zart an seinem Schädel zerschellt.

Die vielen Splitter mutieren auf Seite 46 und Tom erhält Superkräfte. Er ist ständig mit dem Internet verbunden, kann in jede Datenbank eindringen und alles downloaden. (Frage: auch die verschlüsselten Dateien von Passwortgeschützten Datenbanken? Wird leider nicht beantwortet, schade) Dazu kann Tom eine iHaut bekommen, die ihn vor Angriffen schützt und Elektroschocks verteilen. Nun ist er iBoy!

Auf Seite 84 fragt Tom bzw. iBoy sich, wie der iPhone Akku mit 3,7 Volt und 1219 mAh das alles schafft. Ich frage mich das auch! Haben die Akku-Splitter in Toms Gehirn einen neuen Superakku geschaffen? Mit wie viel Volt verteilt er Stromstöße? Ist die Energie vom mAh in den Ah Bereich gestiegen? Aber Tom gibt sich auf Seite 85 gleich selbst die Antwort. Niemand stellt die Frage, was genau der Spinnenstich bei Spiderman anrichtete und wie das alles funktioniert!

Richtig, Mr. Brooks! Spiderman wurde als Comicfigur geboren. Für Comics gelten eigene Gesetze. Niemand fragt, wieso ein Typ im Fledermauskostüm Verbrecher reihenweise erledigen kann. Niemand fragt auch, warum ein Wissenschaftler an einer Strahlungsüberdosis nicht starb sondern sich in ein grünes Wesen mit Spatzenhirn und Monsterbizeps verwandeln kann. Comics – aber auch Fiction-Bücher – haben eigene Gesetze. Dazu gehört, dass man Details wie Spinnenart, den genauen Prozess der Vorgänge im Körper usw. bewusst weglässt! WEGLÄSST!! Es passierte, und die Folgen sind: 1-2-3! Ließ J. K. Rowling je ein Wort darüber fallen, wie Zauberei und physikalische Welt exakt zusammenpassen? Nö, Zauberei gibt es und die Folgen für Harry Potter sind …

Auf den Seiten 77 bis 80 erfahren wir alles über das iPhone. So wurden bis 2009 über 21 Mio. Geräte verkauft. So, so! Der Prozessor ist ein Samsung S5PC100 ARM Cortex A8. Hey, toll! Die Ausstattung ist ein Multi-Touch Touchscreen Display. Ja, prima! Die Funkverbindung ist immerhin ein A-GPS, Triband UMTS/HSDPA 850. Unglaublich, was da alles drin ist in so einem iPhone!

Zwei Fragen tauchen bei mir auf, Mr. Brooks: Wurde Ihr Buch von Apple gesponsert? Welche Relevanz hat das alles für die Story?

Nächste Anschlussfrage: Wenn Tom nicht von einem iPhone, sondern von einem Smartphone eines anderen Herstellers getroffen worden wäre, hätte er dann keine Superkräfte? Was, wenn Spiderman nicht von einer radioaktiv verseuchten Spinne der Gattung X sondern von der Gattung Y gebissen worden wäre? Würde er als Krüppel durch die Welt laufen? Spiderkrüppel fängt Taschendieb in der Rehaklinik? Fragen über Fragen.

ACHTUNG SPOILER!

iBoy bzw. Tom erledigt im Endkampf die Gegner, obwohl er sich in einem Funkloch befindet. Auf irgendeine Weise schafft er es, trotzdem die Funkwellen in das Funkloch zu ziehen und die Handybatterien der Bösewichte durch Überladung zur Explosion zu bringen. Alle Bösen sterben grässlich. Tom gewinnt das Herz von Lucy und beide werden ein Paar. Hat immerhin bis Seite 297 gedauert.

Ich klappe das Buch zu. Eigentlich sollte man über eine Fortsetzung nachdenken und Tom einen weiblichen Held zur Seite stellen. Um das Productplacement am besten zu nutzen empfehle ich einen anderen Hersteller für Smartphones. Die Heldin könnte man dann LG-Girl, Huawei-Hilli oder Sony-Sally nennen. Vielleicht auch Nokia-Nikki?

iBoy und Nokia-Nikki gegen die Sony-Bande! Das wäre bestimmt ein spannendes Buch. Oder nicht? Sorry, Mr. Brooks. Meine persönliche Ansicht ist, dass mit Rosemary Sutcliff und J.K. Rowling die Insel bessere Jugendautoren hervorgebracht hat. Die Nominierung verstehe ich nicht. Vielleicht liegt es daran, dass ich kein iPhone habe.

 

 

Facebooktwitterpinterestby feather

Bildquelle

  • iboy: Bildrechte beim Autor

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert