Die Kulisse: Writing active setting

Active Setting kann man mit „lebendige Kulisse“ übersetzen. Das in englischer Sprache erhältliche Buch von Mary Buckham gehört zu den besten Werken am Markt zu dieser Thematik. Deshalb stelle ich es heute vor.

Um die Wirkung einer Kulisse auf die Stimmung eines Romans und damit auch indirekt die Lust auf das Weiterlesen zu demonstrieren, beginnt Frau Buckham mit folgendem Beispiel (von mir übersetzt):

Sue betrat das Wohnzimmer ihrer Mutter, lief am Kaffeetisch und der Couch vorbei um sich auf einen Stuhl zu setzen.

Was offenbart dieser Satz? Was deckt er auf über Sue oder die Beziehung zu ihrer Mutter? Zieht der Satz den Leser in die Handlung hinein? Die Worte sind belanglos, nüchtern und inhaltsleer. Im Grunde wird nur eine Romanfigur durch den Raum bewegt. Ebenso gewinnt man keinen Eindruck von dem Wohnzimmer, im Kopf entsteht kein Bild.

Frau Buckham erweitert das Beispiel zweifach und zeigt jeweils eine andere Sue.

Sue ging in das mit Gold- und Seidenstoffen überzogene Wohnzimmer ihrer Mutter, gefangen vom Zusammenprall diverser Blumengerüche: ein Fliederpotpourri, Jasmin-Kerzen, Lavendel-Duftkissen. Roch ihre Mutter diese widerliche Heftigkeit nicht mehr? Versuchte sie jemals, über die dichten Vorhänge oder die bebänderten Fensterabdeckungen hinaus zu blicken, welche den Raum in einem konstanten Dämmerlicht hielten? Oder benutzte sie die weiße Farbe auf weißem Grund und das Samtgewebe, um sich vor der realen Welt zu verstecken? Mit einem Seufzer sank Sue in den Designerstuhl, und hoffte, eher früher als später hier herauskriechen zu können.

Nun eine ganz andere Sue und ein anderes Wohnzimmer:

Sue ging in das Herz ihres Elternhauses, erinnerte sich daran, wie sie Cowboy und Indianer hinter der abgenutzten Tweed Couch spielte, wie sie Zelte baute über dem mit Stoff behängten, verkratzten Kaffeetisch, sich hinter den Baumwollvorhängen versteckte, die man nun durch neue Jalousien ersetzt hatte. Großmutter schauderte immer, wenn sie sich gnädig herabließ, das Haus zu besuchen. Sues Mutter kümmerte es nicht. Nun würde sie nicht mehr im Sessel stricken oder auf die Couch klopfen für eine Erzähl-mir-alles-Sitzung.

Interessanterweise sind es zwei verschiedene Sues, die wir hier sehen. Die einzige Gemeinsamkeit ist das Betreten des Wohnzimmers ihrer Mutter. Im ersten Beispiel erfahren wir durch die Kulisse viel über Sue, die Beziehung zu ihrer Mutter und sogar über ihre Mutter selbst. Sue hasst es, das Wohnzimmer zu betreten, das sowohl hinsichtlich der Gerüche als auch der Ausstattung überladen ist.

Im zweiten Beispiel geht Sue gerne in das Wohnzimmer. Auch hier erfährt der Leser durch die Beschreibung der Kulisse viel über die handelnden Personen. Das Wohnzimmer ist für Sue das Herz ihrer Kindheit, voll mit wunderbaren Erinnerungen. Für Großmutter hingegen war der Ort grässlich, vielleicht eine Spur zu ungepflegt. Allein aus der Beschreibung wird ersichtlich, dass Sue und ihre Mutter sich wunderbar verstanden haben. Ebenso entsteht eine Ahnung, dass mit der Mutter etwas passiert sein muss.

Um zu demonstrieren, wie man eine Kulisse interessant beschreibt, für Atmosphäre sorgt, verwendet Frau Buckham eine interessante Technik. Sie nimmt als Beispiele Ausschnitte aus Romanen und verfremdet sie so, dass sie möglichst langweilig klingen. Sie nennt das „Erster Entwurf“. Das soll die Rohfassung eines Romans darstellen. In einem zweiten und dritten Entwurf ahmt sie Überarbeitungsschritte durch den Autor/die Autorin nach und zitiert dann die tatsächlich in Büchern abgedruckte Stelle.

Erster Entwurf:

Ich fuhr die dunkle Straße hinunter zum Tatort.

Endfassung:

Die Bäume kräuselten sich über die Straße, nackte Äste, die im Licht der Autoscheinwerfer tanzten. Nasse, eisige Stämme neigten sich in Richtung der Straße. Während des Sommers war die Straße ein belaubter Tunnel. Nun jedoch sah es aus wie schwarze Knochen, die aus weißem Schnee hervorstachen.

Auch wenn in dem Text der Tatort nicht erwähnt wird, ahnt man bevorstehenden Ärger. Die Person, welche das Auto fährt, hat eine bestimmte Meinung über die Kulisse, die Allee. Sie sieht keine Bäume in einer malerischen Winterlandschaft, die Lust auf eine Schneewanderung aufkommen lassen.

Ein weiteres Beispiel

Erster Entwurf:

Es begann in New Jersey zu regnen.

Zweiter Entwurf:

Ich hatte ein Frühstück an einem typischen Frühlingsmorgen in New Jersey.

Der zweite Entwurf ist immer noch langweilig. Was wird gefrühstückt und wie soll man sich einen typischen Frühlingsmorgen in New Jersey vorstellen? Wer frühstückt da? Der dritte Entwurf entfaltet das volle Potential der Kulisse und die Beziehung der Romanfigur dazu.

Endfassung:

In einem Café zu sitzen und gemütlich eine Latte zu schlürfen stand nicht auf meinem Terminplan, weshalb ich die Auffahrt zu McDonalds wählte. Auf dem Frühstücksmenü standen französische Vanille-Latte und Pfannkuchen. Es waren keine Pfannkuchen vom Großmutter-Kaliber, allerdings auch nicht gerade schlecht. Vor allem bekam man sie einfacher.

Der bewölkte Himmel drohte mit Regen. Keine Überraschung hier. Regen war unabdingbar für Jersey im April. Stetiger, grauer Nieselregen, der landesweit für schlechte Haare und eine Couch-Kartoffel-Mentalität sorgte. In der Schule pflegten sie uns zu erzählen, dass der Aprilregen Maiblumen brachte. Aprilregen brachte ebenso Massenkarambolagen mit zwölf beteiligten Wagen an der Jersey-Mautstation und geschwollene, mit Rotz gefüllte Nasenhöhlen.

Auch wenn die Romanfigur in diesem Ausschnitt namenlos bleibt, entsteht im Kopf ein Bild. Sie hat eine schnoddrige Art, kommentiert entsprechend das Menü bei McDonalds (Nicht so gut wie bei Großmutter, allerdings auch nicht schlecht und alles, was man derzeit als eilige Person bekommen kann). Dann spricht die Figur das Wetter an. Man erfährt, wie es im April in Jersey üblicherweise aussieht und was die Protagonistin davon hält. Sie zieht einen Vergleich zwischen dem beschönigenden Schulwissen und der von ihr wahrgenommenen Realität.

Die Beispiele zeigen, dass das Buch von Frau Buckham eine hilfreiche Quelle darstellt. Das Werk gibt es sowohl als Kindle-Version als auch unter anderem Titel (A writer´s guide to active setting) als Printausgabe mit knapp 260 Seiten. Es gliedert sich in drei Teile:

  • Charakterisierung und sensorische Details
  • Emotionen, Konflikt und Hintergrundstory
  • Einbettung in die Kulisse, Aktionen, Charaktere und mehr

Von der Autorin gibt es noch ein weiteres Buchset, welches sich mit Hooks beschäftigt, also den ersten Sätzen eines Buches, mit dem der Leser gefesselt werden soll. Ebenfalls eine lohnende Investition.

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Bildquelle

  • Buckham_Setting: www.amazon.de

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