„Lieber Armut als Selfpublisher“, eine ziemlich harte Aussage. Sie stammt aus dem Bücherblog der britischen Zeitung Guardian, geschrieben von Ros Barber. Was hat es mit der Behauptung auf sich? Wahrheit oder Humbug?
Anders als der Name vermuten lässt, handelt es sich bei Ros Barber um eine Frau. Bevor ich auf die Person der Autorin eingehe, möchte ich mich mit den Argumenten beschäftigen, die sie in ihrem Artikel im Guardian erwähnte. Der Beitrag verwendet den reißerischen Titel „For me, traditional publishing means poverty. But self-publish? No way.“
Frau Barber räumt in ihrer Argumentation zuerst mit dem Mythos des „reichen Autors“ auf und erklärt freimütig, dass sie für ihr letztes Buch einen „berauschenden“ Vorschuss von 5.000 Pfund bekam. Das sei wenig für die Arbeit von zwei Jahren.
Nachfolgend setzt Frau Barber sich mit dem Selfpublisher auseinander. Sie findet, dass 70 % Honorar kein Ansporn sei, die Seiten zu wechseln. Es wäre genauso, als würde man Luke Skywalker auffordern, zur dunklen Seite der Macht überzutreten.
Uff!
Was für Gründe führt Frau Barber an? Als Selfpublisher schreibe man nicht für das Leben, sondern für das Marketing. Man würde 10 % mit Schreiben und 90 % mit Marketing verbringen und das sei für sie nichts. Sehr provokant ist folgende These:
„Stellen Sie sich vor, wir sind uns gerade begegnet. Ich lade Sie in mein Haus ein und das erste, was Sie mir zeigen, ist der Klappentext Ihres Buches. Sie drängen mich dazu, es bei Amazon anzusehen. Dann lesen Sie mir den Klappentext eines anderen Autors vor, den Sie nur deshalb bewerben, weil er das gleiche für Sie macht. Danach erzählen Sie mir, wie viele Freunde Sie heute verloren haben und dass ich ebenfalls herausfinden kann, wie viele ich heute verlor, vorausgesetzt, ich benutze eine bestimmte App. Dann halten Sie mir eine Leserbewertung Ihres Buches unter die Nase. Das alles in den ersten 10 Minuten. Lässt mich das darauf schließen, dass Sie ein erfolgreicher Autor sind, dessen Bücher ich vielleicht kaufen werde? Oder sind Sie nicht eher ein verzweifelter Egomane, der keine Gedanken an andere Leute verschwendet?“
Frau Barber fordert beginnende Autoren anschließend dazu auf, sich vorzustellen, einen Schrank selbst bauen zu wollen. Sie sehen sich ein paar Schränke an, lesen Bücher über den Bau von Schränken. Dann, mit viel Hoffnung im Herzen, besorgen Sie sich Holz und fangen an. Da Sie neu im Geschäft sind, arbeiten Sie mit Anfänger-Werkzeug. Ebenso besorgen Sie sich Holz, das eher ungeeignet ist. Die anfängliche Euphorie verfliegt, Sie erkennen, dass Schrankbau eine harte Arbeit ist. Aber Sie vollenden Ihr Werk. Der Schrank wackelt ein wenig, die Schubladen klemmen, die aufgetragene Farbe ist nicht perfekt. Aber – Hurra – es ist ein Schrank! Sie bieten ihn diversen Möbelgeschäften an, die jedoch höflich ablehnen. Was machen Sie nun? Verkaufen Sie ihn selbst oder atmen Sie tief ein und fangen mit einem neuen Schrank an? In der Hoffnung, dass er besser wird, als der erste?
Meine Anmerkung: Sie könnten natürlich auch, falls Sie wenig Verstand haben, zu einer Zuschuss-Möbelhandlung gehen. Die werden Ihnen sofort sagen, dass es der beste Schrank sei, den sie in ihrem ganzen Händlerleben gesehen haben, ein hervorragendes Meisterwerk. Selbstverständlich ist er etwas für den Verkaufsraum, aber: das Geschäft mit Schränken ist knallhart, der Wettbewerb mörderisch. Mit einer fairen Kostenaufteilung kann man dieses Problem jedoch umgehen. Sie zahlen einen vierstelligen Zuschuss an die Möbelhandlung und dafür steht der Schrank im Verkaufsraum. Ziemlich fair, oder? Eher nicht? Stimmt! Also, Finger weg von Zuschussgeschäften!
Frau Barber führt weiter aus, dass ein guter Autor noch bessere Lektoren braucht und ebenso hervorragende Coverdesigner. Man braucht fantasievolle Marketingleute und gut vernetzte Publizisten. Das bekommt man umsonst bei traditionellen Verlagen, denn diese Leute bezahlen den Autor und nicht umgekehrt.
Frau Barber denkt, dass viele Indie-Autoren Dienste wie Covergestaltung, Probelesen, Lektoratsdienste anderen Indie-Autoren anbieten, um sich selbst finanziell über Wasser zu halten. Damit würde ein Pyramiden-System geschaffen. Viele kleine Autoren bezahlen für die ganz oben und nur die überleben finanziell. Frau Barber schließt ihren Zeitungsartikel mit den Worten:
“For those who prefer orchestrated backing to blowing their own trumpet, who´d privilege running a narrative scenario over running a small business, who´d rather write adventures than adverts, self-publishing is not the answer.”
Starker Tobak. Betrachten wir als erste Antwort auf diesen Artikel den persönlichen Hintergrund der Autorin Ros Barber. Etwas großspurig verkündet sie in der Überschrift ihres Artikels: „For me, traditional publishing means poverty.“
Nun, von 5.000 Pfund Vorschuss auf einen Roman kann man natürlich nicht leben. Um einen Vergleich zu haben ist das Brutto-Jahresgehalt eines Police Constable nützlich, das liegt in der unteren Besoldungsgruppe bei 19.578 Pfund plus 2.349 £ London-Zulage, falls die Anfängerin im Polizeidienst in der Hauptstadt arbeitet. Das Netz behauptet, Frau Barber sei Mutter von vier Kindern und lebe in Brighton. Wo lebt die Frau dort? Unter einer Brücke? Deckt sie ihre Kinder jeden Abend mit der Zeitung zu? Ich suchte tiefer im Netz und ermittelte folgendes:
Ros Barber is the author of the critically acclaimed and award-winning The Marlowe Papers. She is a Visiting Research Fellow at the University of Sussex, lecturer in Creative and Life Writing at Goldsmiths, University of London, and Director of Research at the Shakespearean Authorship Trust. She has been visiting lecturer at Brunel, Kent, and Notts Trent Universities.
Also hat die gute Frau eine ganze Reihe von Jobs, die wahrscheinlich ausreichen eine Familie zu ernähren. Schriftstellerei ist somit nur eine Nebentätigkeit. Für eine zweijährige Hobbyarbeit umgerechnet pro Jahr 2.500 Pfund zu erhalten, sehe ich als ausreichend an.
Was schreibt denn Frau Barber so? Sie ist eine begeisterte Anhängerin der Dichtkunst, die oben genannten Marlowe Papers sind in Jamben geschrieben. Jambus ist eine Reimmethode, in der auf eine unbetonte Silbe eine betonte folgt. Um den Effekt zu verdeutlichen, zitiere ich Goethe aus „Reisezehrung“:
Entwöhnen soll ich mich vom Glanz der Blicke,
Mein Leben sollten sie nicht mehr verschönen.
Was man Geschick nennt, läßt sich nicht versöhnen –
Ich weiß es wohl, und trat bestürzt zurücke.
So ungefähr sehen die Bücher von Frau Barber aus. Das Netz nennt sie: “Author of three collections of poetry”.
Ich gebe offen zu, dass Dichterei nicht meine Sache ist. Ich würde also die Bücher von Frau Barber selbst dann nicht kaufen, wären sie in deutscher Sprache erhältlich. Englische Bücher lese ich ansonsten recht gerne, sofern sie in Prosa geschrieben sind. Für ein Nischenprodukt, wie es gedichtete Bücher nun einmal sind, 5.000 Pfund zu erhalten, ist eine Leistung. So viele Verkäufe gibt es nämlich nicht, die Zahlen bei Amazon sprechen für sich.
Was sagen mir diese Infos und wie betrachte ich angesichts der neuen Fakten den Beitrag von Frau Barber? Für arm halte ich die Autorin nicht, sie lebt von vielen Dingen, aber bestimmt nicht vom Autorendasein. Die Überschrift im Guardian „For me, traditional publishing means poverty“ ist meiner Meinung nach reine Effekthascherei! Sie wurde für die Herstellung eines Nischenproduktes ausreichend bezahlt. Ihre Ansichten zum Self-Publishing sind kritisch, aber deswegen nicht gänzlich falsch. Die Aufteilung in 10 % Schreiben und 90 % Marketing ist mir schon öfters über den Weg gelaufen.
Den Vergleich mit dem Bauen eines Schrankes finde ich gelungen. Der erste Schrank ist meistens Mist, vielleicht noch der vierte oder fünfte. Mit Profi-Werkzeug, gutem Holz und – reichlich Erfahrung – kann aber ein erstklassiger Schrank entstehen.
Die Lehrzeit eines Schreiners beträgt 3 Jahre. Danach kann er gute Schränke bauen.
Glauben Sie also nicht, dass Sie nach zwei gelesenen Ratgebern, drei intensiv betrachteten Schränken oder einem Schnellkurs an Ihrer VHS oder ähnlichem Zeug, auf dem gleichen Niveau sind. Sie sind höchstens auf dem richtigen Weg.
Gehen Sie weiter vorwärts.
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