„Götter der Rache“ von Giles Kristian

Ich lese gerne historische Romane, u.a. diejenigen, welche sich mit der Wikingerzeit beschäftigen. Der Einstieg in die Uthred-Saga von Bernard Cornwell mit Band 5 verlief leider unglücklich. Nachdem ich das erste und zweite Buch durchgearbeitet habe, fällt mein Urteil besser aus. Cornwell spielt in der ersten Liga – und wie es aussieht – dort ziemlich allein.

Auf der Suche nach weiteren Autoren stieß ich auf Giles Kristian und „Götter der Rache.“ Angesiedelt im Norwegen des Jahres 785 versprach es die Rache des Sigurd am Tod seines Vaters, den ein verräterischer König in die Falle gelockt hatte. Der Autor sieht sich von Cornwell inspiriert, stammt aus Norwegen und ist angeblich ein Bestseller Autor. Das Werk wurde ins Deutsche übersetzt.

Nun, nach eingehender Lektüre bin ich der Meinung, dass Herr Kristian noch einiges an Weg vor sich hat, wenn er mit Cornwell gleichziehen will.

Was stört mich an „Götter der Rache“? Der Roman beginnt mit einem Prolog, dessen Sinn sich mir nicht erschließt. Aber das kann an meiner Voreingenommenheit bezüglich Prologe liegen. Ich halte sie in 99 Prozent der Fälle für überflüssig.

Jedenfalls beginnt das erste Kapitel deshalb auf Seite 15. Bis zur Seite 20 machte ich Bekanntschaft mit folgenden Personen:

Jarl Harald

Hagal Krähenlied

Olaf

Sörlie

Sigurd

Svein

Harek

Thorvad

Asgot

Styrborn

Das sind mir persönlich zu viele. Auf Seite 22 werden mir sogar die Hunde des Jarl vorgestellt. Sie heißen Var und Vogg. Ungefähr hundert Seiten später sind sie tot. Waren sie dazwischen für den Plot irgendwie relevant? Nein. Hätte man sie weggelassen, wäre es niemandem aufgefallen.

Ein nervendes Stilmittel sind die andauernden namentlichen Vorstellungen von Leuten, die unwichtig sind. Oft gibt es Szenen in der Art, dass ein Haufen Personen beieinander stehen und einer von diesen eine kurze Bemerkung abgibt. Das wird seitens des Autors in Sätzen ähnlich wie diesem gelöst:

„Wir müssen X tun“, sagte ein Mann, der Y hieß.

Kennzeichnend für Y ist ein Schicksal ähnlich wie dem der Hunde: Kurz auftauchen und danach keine Rolle für den Plot mehr spielen. Wieso dann die Namensnennung? Ich will nicht wissen, wie irgendjemand heißt, der nur einen einzigen Satz sagt und danach in der Versenkung verschwindet. Ich will bei einem Krimi auch nicht wissen, wie der Taxifahrer heißt, der den Verdächtigen zum Flughafen fährt, welchen Namen die Verkäuferin am Getränkestand hat oder die Dame, welche das Flugticket aushändigt.

Die Vorliebe des Autors für die nordische Mythologie geht so weit, dass er die Originalfassung der Namen verwendet, d.h. inklusive Runenzeichen. So wird aus dem Gott Odin ein Oðin (das ð spricht man übrigens aus wie das th im englischen Wort with). Man kann das tun, aber dann sollte man jedoch konsequent sein. Aus dem Wort für Sklave, thrall, würde dann ein þræll. Aus dem Gott Thor wird ein þor. (Auch das þ spricht man aus wie das ð. Offiziell heißen die Zeichen thorn und eth)

Die Konsequenz bleibt leider aus. Es entsteht ein Mischmasch der Orthographie.

Verwirrend sind die unzähligen Begriffe aus dem Wikingeralltag. Sie reißen einen aus dem Lesefluss. Dauernd muss man das Glossar am Buchende bemühen. Ein typisches Beispiel ist das Kettenhemd. Im Buch wird der Begriff Brynja verwendet. Kaum habe ich mich daran gewöhnt, lese ich auf Seite 103: „Nur zwei Männer trugen Brynjur.“ Im Glossar erfahre ich dann, dass Brynjur der Plural von Brynja ist.

Leider steigt da die Wut in mir auf und in nordischer Tradition hätte ich große Lust, dem Autor ein kräftiges „Hrafnarnir munu hafa sik!“ entgegen zu schleudern.

Nein, ich will natürlich nicht, dass Herrn Kristian die Raben haben dürfen. Aber vor lauter Aurar, Draugr, Galdr, Holmgang, Huglausi, Meyla, Nestbaggin, Neiding, Svinfylkja, Skjaldborg usw. kommt man durcheinander und aus dem Lesefluss heraus. Eine konsequente Übersetzung ins Deutsche, bzw. in der Originalversion ins Norwegische, wäre besser gewesen. Kettenhemd und Schildwall lesen sich leichter als Brynja und Skjaldborg.

Wenn ich lese, dass jemand sieben Rast geritten ist, dann entstehen bei mir Fragezeichen. Erst das Glossar klärt mich auf, dass 1 Rast ungefähr 9 km entspricht. Wieder etwas, das einen aus dem Lesefluss bringt.

Die vielen Charaktere im Buch, die schier endlose Namensvielfalt selbst bei absolut unwichtigen Figuren, lenken vom Helden Sigurd ab. Ich fühlte mich oft, als würde ich einen Ameisenhaufen betrachten. Jede Ameise trägt ein Namensschild aber wieso und warum sie irgendetwas tut, entzieht sich meiner Kenntnis. Irgendwann verliert man sogar Sigurd aus dem Blick.

Herr Kristian nutzt Vergleiche, das ist üblich und lobenswert. Vergleiche können den Erzählfluss aufbessern. Beispielweise in der Form: Ihr Haar schimmerte wie ein sonnendurchflutetes Weizenfeld.

Okay, ist ein wenig schmalzig, könnte aber in einer Love-Story stehen. Der Vergleich enthält versteckte Informationen. Vor dem geistigen Auge des Lesers erscheint ein Weizenfeld in kräftigem Gelb. Er schließt indirekt auf die Haarfarbe der Romanfigur ohne dass man diese nennen muss.

Ebenfalls passend wäre ein Vergleich der Art: Das ist so überflüssig wie ein drittes Bein. Auch hier entsteht sofort ein Bild im Kopf. Die Schwere der Überflüssigkeit wird dem Leser klar.

Man kann festhalten, dass Vergleiche passend sein sollten um beim Leser ein Bild zu erzeugen. Bei Herrn Kristian ist das nicht immer der Fall.

So lese ich auf Seite 96: Seine Stimme drang durch die Halle wie ein Kiel durch dunkles Wasser.

Da fehlt mir das Vorstellungsvermögen. Eine Stimme dringt durch eine Halle. Ein Schiffskiel dringt durch dunkles Wasser. Wo ist die Verbindung? Wie hört sich eine Stimme an, die sich mit einem Kiel vergleichen lässt, der z.B. durch helles Wasser dringt? Ist die Stimme dann auch heller? Eine weibliche Stimme? Heißt es bei einer Frau dann: Ihre Stimme drang durch die Halle wie ein Kiel durch helles Wasser?

Auf Seite 106 lese ich: „Diesmal wirkte das Lächeln seines Vaters unter seinem blonden Bart wie das eines Wolfs.“

Ich kann mir knurrende Wölfe vorstellen, ebenso zähnefletschende. Aber lächelnde? Wie lächelt ein Wolf? Es soll ja wieder Wölfe in deutschen Wäldern geben. Kann vielleicht eine Leserin sich eine rote Kappe aufsetzen und im Wald ein wenig spazieren gehen? Vielleicht kommt ein Wolf vorbei und lächelt selig, weil er glaubt, dass ein Märchen wahr geworden ist. Macht ein Selfie und schickt es mir.

Auf Seite 121 lese ich: „Das Drachenmuster der Klinge leuchtete im Zwielicht des Waldes wie eine Makrele drei Fuß tief unter der Wasseroberfläche.“

Ich musste erst im Internet recherchieren um herauszufinden, dass Makrelen einen dunkelblauen, türkis-metallisch bis stahlblauen Rücken haben, die Seiten grünlich und der Bauch hell bis weiß ist. Leider steht im Internet nirgends, ob das nur auf Makrelen in drei Fuß Wassertiefe zutrifft oder die Farbe bei sechs Fuß anders aussieht. Vielleicht ändert sich das alles auch bei nur einem Fuß Wassertiefe.

Seite 352: Bei diesen Gedanken sträubten sich die Haare auf Sigurds Nacken. Sie strichen wie ein Windhauch über die glühenden Kohlen in seinem Leib und fachten sie zu unerträglicher Hitze an.

Wo ist die Verbindung zwischen sich aufstellenden Nackenhaaren und einem Windhauch im Leib? Außerdem hätte der Begriff Holzkohle verwendet werden müssen. Im Frühmittelalter verwendete man diese für z.B. Schmiedearbeiten. Das Wort Kohle impliziert Steinkohle. Die war damals in Norwegen unbekannt.

Wenig anfangen konnte ich auch mit einer bestimmten Zeitangabe, die mehrmals im Roman vorkommt: „Nach einer Zeit, die man brauchte um ein Messer/Beil/Schwert zu schärfen, tauchte X wieder auf.“ Ich habe keinerlei Vorstellung, wie lange das dauert. Ist damit das erste Schärfen nach dem Schmieden gemeint? Das dauert ewig. Ein leichtes Nachschärfen als Pflegemaßnahme geht schneller. Wobei das Auswetzen einer Scharte wieder eine längere Angelegenheit ist. Warum nicht das Problem mit der Zeit anders lösen? Man könnte einen Bezug zu Sigurd herstellen, ihn zeigen, wie er nervös herumläuft oder den Stand der Sonne am Himmel erwähnen. Die Länge eines Schattens eignet sich ebenfalls: „Der Schatten des Mastes hatte sich bereits um die Hälfte verkürzt, als endlich X zurückkam.“

Diverses:

Die Verwendung von altnordischen Namen führt zu komischen Szenen. So schreibt der Autor auf Seite 287: „Du wirst einige meiner Freunde kennenlernen …“ „Von denen Aesk In-Halti und Ofeig Grettir die reichsten sind.“ Die Beinamen bedeuteten „Lahmbein“ und „Düsterauge“, wie Hendil bemerkte.

Nun, da Hendil im Jahre 785 in Norwegen lebt, spricht und versteht er Altnordisch. Er braucht Aesk In-Halti und Ofeig Grettir nicht zu übersetzen. Man schreibt im Deutschen ja auch nicht: „Du wirst Lahmbein und Düsterauge kennenlernen.“ Die Beinamen bedeuteten „lame-leg“ und „gloomy-eye“, wie Hendil bemerkte.

Ein ähnlicher Effekt tritt bei Seite 419 auf, wo der Held Sigurd einem Raben einen Namen gibt: „…hab keine Angst, Fjolnir.“ Er dachte sich, dass „Weiser“ ein guter Name für so eine Kreatur war.

So würde jemand mit der Muttersprache Altnordisch nicht denken. Übertragen auf deutsche Verhältnisse wäre es wie: „… hab keine Angst, Weiser.“ Er dachte sich, dass „wise-man“ ein guter Name für so eine Kreatur war.

Hier geht es nur darum, dass der Autor altnordische Bezeichnungen verwenden wollte und dann vor dem Problem stand, sie dem Leser erklären zu müssen. Also wählte er die meiner Ansicht nach schlechte Lösung, dass entweder eine zweite Person sie für die anderen Romanfiguren (und damit den Leser) übersetzt oder die Hauptfigur Sigurd die Übersetzung in seinen Gedanken vornimmt.

Seite 227: Das wussten die Männer und Sigurd, der an einem solchen Ort unwillkürlich an die Sage von Beowulf denken musste …

Beowulf nennt man die Sage erst seit dem 19. Jahrhundert. Sie ist übrigens in Altenglisch (angelsächsisch) geschrieben im Dialekt des Königreichs Mercia. Man geht davon aus, dass die Angeln sie von Dänemark nach England brachten. Obwohl die Handlung nordischen Ursprungs ist, gibt es keinen Beweis, dass sie in Norwegen im Jahre 785 umging. Dann wohl nicht unter dem Namen Beowulf. Vor der Niederschrift wurde die Sage mündlich verbreitet. Beowulf könnte früher anders geheißen haben, je nach Lust des vortragenden Barden. Bernard Cornwell löste das Problem besser. Er zitiert häufig den Satz: wyrd bið ful aræd. Dieser stammt aus dem angelsächsischen Epos „Der Wanderer.“ Diesen Namen bekam er auch erst in moderner Zeit. Cornwell verzichtete deshalb auf die Nennung und redete nur allgemein von einer alten Heldengeschichte. Man merkt also den Unterschied von guter und schlechter Recherche schon beim Lesen.

Was gibt es sonst zu „Götter der Rache“ zu sagen? Es ist eine durchschnittliche Wikingerstory, leider ohne ausgefeilte Charaktere. Sigurd will Rache für seinen Vater, sammelt eine Schar Gleichgesinnter um sich und trifft im Finale auf einen der Mörder. Ein paar der unterwegs aufgesammelten Personen hätten eine genauere Charakterzeichnung verdient, z.B. der schwarze Floki oder die Schildmaid. Wieso sie sich Sigurd anschließen, was sie so über die Welt denken, welche Ideen sie für die eigene Zukunft haben, erfahren wir leider nicht.

Ein Indikator für den Unterschied zwischen Cornwell und Kristian ist z.B. die Plattform Momox für gebrauchte Bücher. Meine Anfrage zu „Rache der Götter“ ergab einen Ankaufspreis von 2,70 Euro. Der wesentlich ältere Roman „Der sterbende König“ von Cornwell würde immerhin noch 2,08 Euro erzielen. Den Preisunterschied zu Kristian schiebe ich auf das junge Erscheinungsdatum. Ich vermute, dass der Preis noch stark fallen wird.

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Bildquelle

  • götter der Rache: amazon.de

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