Viele Dialoge in Romanen lesen sich unnatürlich. Dabei genügen bereits wenige Tipps und Tricks um einem Dialog mehr Realismus und Glaubwürdigkeit zu geben. Einige davon möchte ich heute vorstellen. Für ein aussagekräftiges Negativbeispiel wühlte ich im beinahe grenzenlosen Fundus von Bezahlverlagen. Ich fand einen interessanten Text mit deutlichen und leicht nachvollziehbaren Fehlern in den Dialogen. Wie üblich sind die Namen der Romanfiguren, Landschaften abgekürzt, um keine Rückschlüsse zu ermöglichen. Es geht um den Text, nicht um den Autor.
Der vorliegende Buchausschnitt handelt von einer Fantasy-Welt und natürlich steht das Heer der bösen Mächte wieder einmal vor der Stadt der Guten. Leider geht die Runde diesmal an die dunkle Seite der Macht und jeder weiß schon jetzt, dass die Gesamtlage hoffnungslos ist. Die Situation wird dem Leser mit Hilfe von langweiligem Infodump eröffnet. Der örtliche König will seine zwei Kinder, die erst sechs Monate alt sind, in Sicherheit bringen, die Mutter ist verstorben. Dieses Ereignis markiert den Beginn der Romanhandlung. Der Herrscher ruft den A zu sich, der wie es heißt, der beste Heerführer sei. Betrachten wir nun den Dialog, den der Autor daraus konstruierte:
Plötzlich hallten laute Schritte durch den Saal und ein kräftiger, hochgewachsener Mann mit grauen halblangen Haaren und in voller Rüstung trat vor den Thron, wo er sich auf ein Knie niederließ und ehrerbietig den Kopf senkte. C schüttelte die dunklen Gedanken ab und stand auf.
„Erhebe dich A“, sagte er. „Ich danke dir, dass du meinem Ruf so schnell gefolgt bist. Wie steht es draußen?“
„Mein König“, verneigte sich sein bester Heerführer leicht. „B´s Gewürm marschiert auf und beginnt sich zu formieren. Aber unsere Soldaten und die ganze Bevölkerung der Stadt sind wild entschlossen, die Feinde mit blutigen Köpfen wieder heimzuschicken.“
C lächelte gequält. „Du weißt so gut wie ich, A, dass wir nicht lange standhalten können. Die Stadt wird früher oder später fallen. Zu groß ist B´s Übermacht.“ Er ging die wenigen Stufen seines Thrones hinunter und stellte sich vor seinen alten Kampfgefährten. „Deswegen habe ich dich auch kommen lassen.“
[Der Auftrag wird genauer erklärt]
Jetzt erst ließ in C los. „Willst du das für mich und unser aller Wohl tun?“
A neigte den Kopf und führte die rechte Faust zum Herzen. „Nichts und niemand wird mich davon abhalten können, Euren Auftrag auszuführen“, sagte er einfach.
[Der König verabschiedet sich von den zwei Kindern im Alter von 6 Monaten, wendet sich dann dem Heerführer zu]
„Nimm zwei deiner treuesten Gefolgsleute und die besten Pferde. Die Amme Z wird euch begleiten. Verlasst die Stadt durch die geheime Pforte an der Flussseite. Ich und die Stadt werden versuchen, den Feind so lange wie möglich aufzuhalten, damit ihr einen genügend großen Vorsprung habt.“
A nickte kurz, drehte sich um und verließ mit langen Schritten den Saal.
Ist das nicht ergreifend, diese Szene, so herzzerreißend? Dort, der gute König und auf der anderen Seite der ergraute Heerführer, der diesen schweren Befehl ohne Zögern ausführt?
Wie? Ich habe Sie gerade aus dem Schlaf geweckt? Sorry! Aber das Stichwort passt. Wieso werden beim Lesen die Augen schwer und die vom Autor erhoffte Spannung tritt nicht ein?
Kennen Sie das: Ihr Partner oder die Partnerin kommt ins Zimmer, verlangt irgendetwas Außergewöhnliches und sie sagen: „Nichts wird mich davon abhalten können, deinen Auftrag auszuführen.“
Ihr Chef steht vor Ihnen, verlangt Überstunden bis abends um zehn Uhr für den Rest der Woche und Sie sollen übrigens trotzdem morgens um fünf Uhr mit der Arbeit beginnen. Was machen Sie? Natürlich neigen Sie den Kopf und sagen: „Nichts wird mich davon abhalten können, Euren Auftrag auszuführen.“
Was? Sie würden nie so antworten auf eine höchst ungewöhnliche Bitte? Ist in Ordnung, ich auch nicht. Das ist nämlich das Problem dieses Dialogs: Er ist an den Haaren herbeigezogen!
Hier spielen zwei schwere Fehler ein Duett. Lassen Sie uns gemeinsam die Szene überdenken. Der Feind steht vor der Tür, der beste aller Heerführer soll abhauen. Welchen Einfluss hat das auf die Moral der Truppe? Lebt der Typ alleine, hat er trotz reifen Alters keine Familie, Freunde, die er nur ungern verlassen will? Wieso ist er so ein langweiliger Ja-sager, der dem König sofort und in allem zustimmt? Warum besteht er – als bester Heerführer – nicht auf dem Oberbefehl zur Verteidigung? Warum können die zwei Kinder nicht durch andere Männer in Sicherheit gebracht werden?
Welche Figuren gibt es noch? Die zwei Gefolgsleute. Die haben natürlich auch weder Freunde noch Familie in der Stadt, um die sie Angst haben. Nein, die gehen ohne Widerspruch mit. Liegt wahrscheinlich daran, dass sie zu den treuesten Gefolgsleuten gehören. Solche Typen haben keine Sorgen, kümmern sich nur um sich selbst.
Die Amme Z wird genannt. Da die Kinder erst sechs Monate alt sind, müssen sie bestimmt noch gesäugt werden. Leider schreibt die Biologie vor, dass eine Frau kürzlich ein Kind geboren haben muss um Milch zu geben. Wie sieht der familiäre Hintergrund der Amme aus? Hat sie ein Kind, ist es evtl. verstorben, an Verwandte verliehen? Das Problem wird hier nicht einmal angedeutet. Auch die Amme Z gehört zu den ewigen Ja-sagern, die alles stehen und liegen lassen.
Folgende Fehler unterliefen bei der Szenenplanung:
- Die Szene hat keinen Konflikt, ist deshalb langweilig zu lesen. Jeder stimmt sofort allem zu und führt jeden Auftrag ohne Zögern aus. Das ist ein Hammer-Fehler, denn es gilt die alte Gleichung: Kein Konflikt – keine Story!
- Es gibt lediglich ein Handlungsmotiv für den König, aber nicht für den Heerführer. Der eine erzählt Halbmonologe, der andere hört bereitwillig zu.
- Der Heerführer besitzt keine glaubhafte Vergangenheit. Wer zum Heerführer wurde, hat schon einiges erlebt. Menschen in so einer Position sind deshalb durchaus in der Lage, einem König – der sie u.a. duzt! – zu widersprechen. Zur Vergangenheit gehört ein Familienstand. Selbst wenn man unterstellt, der Heerführer sei eine Art ewiger Junggeselle, bleiben weitere Probleme. Hat er keinen einzigen Freund, keine Verwandten? Lebt nur er für den Soldatenberuf? Würde er dann nicht glauben, auf dem Schlachtfeld nützlicher zu sein? Schon aus diesem Gedanken kann man Widersprüche zur Meinung des Königs konstruieren.
- Der globale Handlungsrahmen passt nicht zu den individuellen Aktionen. Wie reagieren normalerweise Menschen in einer Lage wie der des Königreiches? Sollte es nicht Fluchtbewegungen geben? Wieso sinkt nicht die Moral, wenn der beste Feldherr heimlich abhaut? Warum glaubt man, dass die Aktion des Generals ohne Folgen für die Truppe bleibt? Warum sind alle wild entschlossen zum Kampf? Gibt es keinen, der Geld und Möbel auf einen Wagen lädt und flieht? Warum lehnt keiner den Auftrag ab, weil er lieber in der Stadt auf seine Verwandten aufpassen will?
Damit haben wir zwei Hauptfehler: Keine Figur hat eine echte Persönlichkeit! Sie sind nur Pappkameraden, welche vom Autor gewünschte Sprüche aufsagen. Die Einzelaktionen sind nicht mit der globalen Handlung abgestimmt bzw. stehen in keiner Verbindung zueinander. Was die eine Seite tut, bleibt folgenlos für die andere.
Wie hätte man den Dialog glaubhafter machen können?
Der beste Weg besteht darin, jeder Person in der Szene ein plausibles Ziel zu geben. Der König will seine Kinder in Sicherheit sehen. Der Heerführer glaubt, auf dem Schlachtfeld durch seine Erfahrung nützlicher zu sein. Damit haben wir erstens einen Konflikt und zweitens die Voraussetzungen für sinnvolle Dialoge. Nun geht es um Details. Folgendes sollte man als Autor überlegen:
- Wäre ich der König, mit welchen Worten würde ich meinen obersten General überzeugen wollen?
- Wäre ich der Heerführer, welche Argumente würde ich wählen, um den König umzustimmen?
Sprechen beide unterschiedlich? Der König mehr gehoben, in ganzen Sätzen, gespickt mit Fremdwörtern? Ist er der Feingeist, der jedes Wort abwägt, Schachtelsätze produziert? Der General ist dagegen vielleicht ungehobelt, unwirsch, fluchend? Lässt er Sätze unvollendet, greift mitten im Reden eine neue Idee auf? Sucht er nach den richtigen Worten, weil er lange Diskussionen nicht gewohnt, er mehr der „Handwerker“ ist?
Welche Charaktereigenschaften sollen die Figuren haben? Ist der König mehr der ruhige Typ, der analytisch denkt? Ist der General vielleicht ein Hitzkopf, der Lösungen mit der Brechstange sucht? Welche Dialoge entspringen solchen Persönlichkeiten?
Wie hätte man die Spannung von Beginn an aufbauen können?
Folgender Szenenablauf würde mir beispielsweise einfallen: Der General marschiert durch die Stadt, auf dem Weg zum Königspalast, sieht Menschen mit bedrückten Gesichtern. Frauen weinen, Kinder blicken furchtsam. Vereinzelt werden Wagen mit Hausrat beladen. Einige streiten sich über stark erhöhte Brotpreise. Die Bäcker klagen, dass aus dem Umland kein Mehl mehr kommt. Mutlose Soldaten laufen herum, der General richtet sie mit ein paar Worten wieder auf. Das überzeugt ihn, dass seine Anwesenheit für Zuversicht sorgt. Schritt für Schritt wird der Leser hineingezogen in die globale Situation, spürt die drohende Gefahr.
Dann, im Thronsaal, eröffnet der König seinen Plan. Der General ist entsetzt, widerspricht heftig. Ein Streit bricht aus.
Was ist Ihre Meinung? Was hätten Sie getan, um Handlung und Dialoge aufzupeppen?
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