Eine seltsame Familie, skurrile Gestalten, für sieben Tage zwangsweise unter einem Dach. Das ist mehr oder weniger der Plot des Romans „Sieben verdammt lange Tage“ von Jonathan Tropper. Wie schaffte er es, daraus einen Bestseller zu machen?
Eine wichtige Zutat besteht darin, diverse Gestalten, die nicht zueinander passen, die sich bei jedem Treffen heftig streiten, für lange Zeit „einzusperren“. Sie müssen gegen ihren Willen Zeit miteinander verbringen, sich ihren Konflikten stellen, ihren Vorurteilen, den Animositäten gegenüber dem jeweils anderen.
Man nennt es den „Kessel“ oder die „Insel“. Normalerweise versucht jeder Mensch Personen, die er nicht leiden kann, aus dem Weg zu gehen. Ein Autor muss bei der Konstruktion des Plots dieser Tatsache Rechnung tragen. Wie schafft man es, die Fliehkräfte auszuschalten? Wie bringt man Personen, die keine Zeit miteinander verbringen wollen, dazu, genau das zu tun?
Der Autor Tropper wählte ein tragisches Familienereignis. Die Familie verliert ihren Vater. Deswegen kommen alle Brüder und Schwestern samt ihren Ehegatten zusammen. Mit der Beerdigung endet das Treffen nicht, denn die Mutter verlangt nach jüdischer Tradition eine siebentätige Trauersitzung im Elternhaus. Genug Platz in Form von Gästezimmern ist nicht vorhanden, weshalb es eng zugeht. Man schläft z.B. im Keller auf Luftmatratzen. Daraus resultiert zusätzlicher Stress.
Damit sind bereits einige Pflöcke im Plot eingeschlagen. Alte Konflikte brechen auf, ungelöste Probleme zwischen den Geschwistern müssen zwangsweise angesprochen werden.
Ein weiterer Grund für den Erfolg des Romans ist der ausgezeichnete Schreibstil. Gleich am Anfang erfährt der Leser, dass diese Familie anders ist als man es erwartet:
„Dad ist tot“, sagte Wendy leichthin, als käme das öfter vor, oder tagtäglich. Es kann ganz schön nerven, dass sie immer so cool tut und selbst angesichts einer solchen Tragödie immer die Unerschütterliche spielt. „Er ist vor zwei Stunden gestorben.“
„Wie geht es Mom?“
„Du weißt doch, wie Mom ist. Ihre größte Sorge war, wie viel Trinkgeld sie dem Leichenbeschauer geben soll.“
Die erste Seite ist die Bewerbung des Autors an den Leser. Wie finden Sie dieses „Bewerbungsschreiben“ von Jonathan Tropper? Eine Witwe, deren größte Sorge darin besteht, die richtige Menge Trinkgeld dem Leichenbeschauer zu geben? Klingt nicht nur ungewöhnlich, sondern geradezu bizarr. Die Sätze wecken Neugierde. Neugierde ist ein wichtiger Kaufgrund für ein Buch. Die erste Seite dient dazu, dieses Gefühl beim potentiellen Leser zu erzeugen.
Erzählt wird die Geschichte aus der Sicht von Judd Foxman. Seine Frau betrügt ihn mit seinem Chef. Judd findet es heraus, der Chef entlässt ihn. Aus dem schönen Haus zieht er um in eine Absteige. Dazu erzählt Judds Frau, genau in dem Moment, als er zur Beerdigung seines Vaters aufbrechen will, dass sie schwanger ist. Vermutlich vom Nebenbuhler.
Ein zusätzlicher Tiefschlag für Judd – aber auch ein schönes Spannungselement für den Leser. Es zeigt das Können des Autors. Er wirft seiner Hauptfigur mächtige Knüppel zwischen die Beine. Gnadenlos, aber gut – für den Leser. Denn dessen Unterhaltung ist die Hauptsorge eines Autors. Durch Buchverkäufe wird er dafür belohnt.
Jonathan Tropper ist ein Meister der Worte. Die Stimmung des Ich-Erzählers wird unter anderem in folgenden Sätzen verdeutlicht:
Der Totengräber sieht aus wie Sankt Nikolaus, und mir braucht keiner zu erzählen, dass er das selbst nicht weiß.
Leute, die jemandem den Weg zu einem Haus oder Geschäft in der West Covington [Straße] beschreiben, nennen meist unser Haus als negatives Erkennungszeichen: Wenn du das große weiße Haus siehst, bist du zu weit gefahren. Genau dieser Gedanke geht mir durch den Kopf, während ich in die Zufahrt einbiege.
Ein interessantes Wortspiel. Wer unser Elternhaus sieht, der ist zu weit gefahren. Man lebt also sozusagen am Ende der Straße, im wahrsten Sinne des Wortes. Dort, wo niemand sein will.
Tropper besitzt ebenfalls ein Händchen für Beschreibungen von Personen:
Ich mag Cal nicht. Cals Freunde, sollte er welche haben, mögen ihn vermutlich auch nicht. Er hat stark behaarte Unterarme, protzige Bizepse, Bräune aus dem Sonnenstudio und Raubtieraugen …
Alles in allem ist „Sieben verdammt lange Tage“ ein sehr gelungener Roman – mit einem überraschenden Happy-End. Mehr soll hier nicht verraten werden.
Nach dem großen Erfolg des Romans veröffentlichte Tropper weitere – nach dem ähnlichen Rezept: Ein Mann mit persönlichen Problemen kommt zurück in seine alte Heimat, trifft alte Freunde – und Freundinnen. Mit letzteren entwickelt sich eine Beziehung. Die Romanfigur selbst durchläuft dabei einen Selbstfindungsprozess.
Der Plot stößt langsam an seine Grenzen. Anfangs liest man gerne Geschichten über skurrile Figuren, die alte Freunde treffen, über ihr Leben nachdenken. Aber spätestens bei der dritten Wiederholung des Grundschemas wird die Angelegenheit zu einer faden Suppe.
Ehrlich gesagt warte ich auf neue Ideen des Autors. Der Schreibstil ist vorzüglich, man bräuchte mehr davon – aber bitte mit neuem Plot.
Bildquelle
- sieben verdammt lange Tage: www.amazon.de