Cornwell: Der sterbende König

Bernard Cornwell gehört zu den großen englischen Autoren historischer Romane. Die nachfolgende Rezension beschäftigt sich mit dem Buch „Der sterbende König“ aus dem Romanzyklus der „Uhtred-Saga“.

Cornwell begann seine Erfolge als Schriftsteller mit dem Zyklus um den englischen Soldaten Sharpe, der zur Zeit Napoleons gegen die Franzosen kämpft. Die Romanreihe wurde bereits verfilmt. Nach den Abenteuern von Sharpe ging Cornwell weit zurück in das Frühmittelalter und schrieb die „Artus-Sage“, die sich der angelsächsischen Invasion der Insel widmet. Uhtred spielt einige Jahrhunderte später. Die englischen Königreiche der Sachsen werden bedroht von den Wikingern und nur noch das kleine Reich von Alfred leistet Widerstand. Der Rest der Insel – mit Ausnahme von Wales und Schottland – gehört bereits den Dänen. Uhtred ist ein Sachse, der als Kind von den Wikingern entführt und aufgezogen wurde. Nach einigen Wirrungen schließt er sich doch den Sachsen an und bekämpft – obwohl er an Odin glaubt – die fremden Eroberer.

Mein Pech war wahrscheinlich der Einstieg in den Zyklus mit Band 6. Manches scheint so konstruiert zu sein, dass man von Anfang an dabei gewesen sein muss, um es zu verstehen. Wenn ich jedoch die Rezensionen von Band 1 betrachte, so fügt sich manches zusammen wie Teile eines Puzzles. Es sind keine Anomalien, sondern feste Bestandteile der erzählerischen Konstruktion.

Uhtred gehört zu der Art von Helden, die entweder kein oder nur ein gering ausgeprägtes Privatleben zu haben scheinen. Band 6 jedenfalls offenbart wenig über ihn außer folgendem:

Auf seinem Landgut lebt die Dänin Sigunn, die er als Frau bezeichnet (S. 55). Auf Seite 61 jedoch wird die junge Dame genau beschrieben, ihre Tunika und der Goldschmuck würden zeigen, dass sie „der Besitz eines Herrn war“. Nachfolgend sagt Uhtred: „Sie gehört mir.“ Das passt zur Stellung einer Ehefrau nicht, denn diese genossen bei den Wikingern sehr große Rechte. Keinem wäre es eingefallen, seine Frau als „Besitz“ zu bezeichnen, es sei denn, er wollte einen handfesten Ehekrach produzieren. Die Beziehung zu der jungen Dame scheint ansonsten doch eher geschäftsmäßig zu sein, denn als Uhtred sie nach einem riskanten Kommandounternehmen gegen die Dänen nach Wochen wieder sieht, lässt Cornwell seinen Helden das nur folgendermaßen trocken kommentieren: „Sie hatte keine Neuigkeiten aus Buccingaham.“ (S. 173) Nun, Privatleben und Heldendasein vertragen sich wohl schlecht.

Ferner liebt Uhtred Aethelflaed, die Tochter von König Alfred. Sie ist unglücklich verheiratet, weshalb sie evtl. mit ihm angebändelt hat. Die Beziehung ist anscheinend allgemein bekannt, aber selbst der gehörnte Ehemann tut nichts dagegen, vielleicht aus Angst vor dem scharfen Schwert Uhtreds. Nun, wer glaubt, wenigstens in dieser Beziehung etwas über Uhtred als Privatperson zu erfahren, wird leider enttäuscht. So hat er zwar im öffentlichen Bereich eines Klosters Gelegenheit zu einer gemeinsamen Nacht mit Aethelflaed, doch auch hier sieht man eher eine geschäftsmäßige Beziehung. Auf den Seiten 237 bis 238 nutzen beide das traute Zusammensein für die Erörterung der allgemeinen politisch-militärischen Lage:

„Mir wurde gesagt, du hättest mit den Dänen Verhandlungen geführt“, sagte Aethelflaed.

„Das habe ich auch. Mit Schlangenhauch (Name des Schwertes) in der Hand.“

„Und hast du auch mit Sigunn Verhandlungen geführt?“

„Ja“, sagte ich. „Und es geht ihr gut.“

„Gott allein weiß, warum ich dich liebe.“

„Gott weiß alles.“

Das ist das Minimum dessen, was Cornwell seinen Figuren an Privatleben bzw. Eifersucht zubilligt. Dinge, wie Fragen über die Zukunft (Beziehung mit verheirateter Frau vs. blonde Dänin daheim) und wie man das vielleicht lösen könnte, sind in dem Roman fehl am Platz. Uhtred hat kein Privatleben. Auch Aethelflaed erzählt ihm auf den folgenden Seiten lieber von den Plänen ihrer Verwandten, sie in ein Kloster zu verbannen und wie sie sich dagegen wehrte. Uhtred nimmt das zur Kenntnis wie einen Wetterbericht. Wenn Cornwell seinen Uhtred denken lässt: „Von allen Freundschaften, die ich in meinem Leben hatte, war keine so eng wie die mit Aethelflaed“ denke ich mir: Wieso glaube ich das nicht? Vielleicht, weil ich es nur erzählt bekomme, aber nie gezeigt. Kurz darauf folgt das Szenenende mit dem Hinweis, dass Alfred inzwischen gestorben war. Die nächste Szene beginnt wieder mit politischen Verwicklungen usw.

So zieht Uhtred von einer Gefahrensituation in die nächste. Aethelflaed hat dabei lediglich die Aufgabe, ab und zu mit Kriegern ihrer Hausmacht in brenzligen Situationen aufzutauchen und militärische Probleme zu lösen. Demzufolge beschränken sich die Gespräche der beiden Liebenden natürlich ausschließlich auf militärisch-politische Dinge. So z.B. auf der Seiten 450, als sie knapp bemerkt, dass sie beim Heer bleiben will trotz gegenteiliger Befehle ihres Bruders. Uhtred sagt nur: „Bleib aber bloß am Leben, Weib.“ Das ist anscheinend das Minimum an Gefühlen, die er ausdrücken kann. Ist halt ein echter Haudrauf. Gefühle sind Weiberkram, genauso wie ein Privatleben.

Hier die systematische Zusammenfassung:

Protagonist: Uhtred

innere Probleme: ???

äußere Probleme: Verteidigung der Angelsachsen gegen die Dänen.

Unterstützer: Diverse, tauchen massenweise auf, sagen ab und zu etwas, haben aber kaum mehr Aufgaben, außer als Stichwortgeber zu dienen

Erzählstruktur: Ich-Erzähler, Präteritum

Handlungsort: Britische Insel, 899 nach Christus

Wer sich an den weiter oben genannten Dingen, wie z.B. der Abwesenheit von Privatleben bei Uhtred oder den zahlreichen Statisten, deren Namen man zwei Seiten später schon wieder vergessen hat, nicht stört, wird mit einem authentischen Roman belohnt. Cornwell versteht es, die Zeit realistisch dazustellen, besonders die Kampfszenen. Zart besaiteten Leserinnen ist das Buch eher weniger zu empfehlen. Es geht zur Sache, aber ordentlich. Romantik, Liebe, persönliche Dramen usw. fehlen dafür völlig. Ich persönlich habe mich trotz des schlechten Einstiegs in Band 6 der Reihe inzwischen durchgerungen, Band 1 billig im Zweithandel zu kaufen. Von der Darstellung der Realität der damaligen Zeit kann man sich inspirieren lassen, von der Abwesenheit von Privatsphäre eher nicht. Die Verkaufserfolge von Cornwell zeigen, dass die auch kaum jemanden interessiert. Finde ich persönlich schade.

 

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Bildquelle

  • uhtred2: www.amazon.de

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