Unter den wenigen Ratgebern, die sich mit Beschreibungen der Kulisse eines Romans beschäftigen, nützliche Hinweise darauf geben, wie man vorgehen soll, ragt dieses Buch, zusammen mit dem von Mary Buckham „Writing active setting“, eindeutig hervor. Was sind die Gründe?
Einerseits ist es der Erfahrungssschatz der Autorin Hall, aus der sie schöpfen kann. Sie beschränkt sich nicht nur darauf, aus eigenen Werken zu zitieren, sondern sie verwendet eine beeindruckende Sammlung. Damit ist der Kreis der Beispiele nicht nur umfangreich, sondern besitzt auch eine ansehnliche Tiefe.
Rayne Hall geht ein auf die üblichen Standardfehler, die vorkommen, wenn junge Autoren Kulissen beschreiben. Üblicherweise trifft man folgende Fälle an:
„Urlaubsprospekt“: Eine reine Aufzählung, was alles vorhanden ist, ohne die Wirkung der Kulisse auf die Romanfigur(en) zu berücksichtigen. Auch beschreiben Romanfiguren die Kulisse in einer Weise, die für ihren Charakter, ihre soziale Herkunft, unglaubwürdig ist. (Bsp: Jemand ohne Begeisterung für Technik kann jedes Detail eines PCs beschreiben)
Quantitätsproblem in 3 Varianten:
1) Es wird zu wenig beschrieben:
Viele Autoren verwenden keine Details der Kulisse, die Romanfiguren handeln mehr oder weniger vor einer weißen Wand. Der Leser fühlt nichts und kann sich nicht mit den handelnden Personen identifizieren.
2) Es wird zu viel beschrieben:
Einige Autoren sind unglaublich detailverliebt, schreiben lange Abhandlungen – die der Leser im Regelfall überblättert um endlich zu der Stelle zu kommen, an der die Handlung weitergeht.
3) Infodump am Anfang:
Ein üblicher Fehler ist es, die Kulisse am Anfang einer Szene ausführlich zu beschreiben und sie später nicht mehr zu erwähnen. Der Leser überblättert die Absätze und fühlt sich später nicht mit der Kulisse verbunden – da eigentlich nicht mehr vorhanden ist.
Rayne Hall empfiehlt beginnenden Autoren folgenden Test:
Nehmen Sie eine von Ihnen geschriebene Szene, die sich in einem fortgeschrittenen Stadium befindet (d.h. sie ist Ihrer Meinung nach fertig, wurde intern von Ihnen lektoriert und bedarf keiner Änderung mehr). Falls möglich verwenden Sie eine Szene, in der zum ersten Mal eine bestimmte Kulisse auftaucht, die vorher noch nicht beschrieben wurde.
Suchen Sie alle Beschreibungen der Umgebung und markieren Sie diese (direkt am PC oder mit einem Textmarker am ausgedruckten Papier). Markieren Sie ebenfalls Anmerkungen zur Umgebung, die keine richtigen Beschreibungen darstellen, aber einen Hinweis auf die Kulisse geben. (Bsp: „Der Wind strich durch ihr Haar“. Wind ist ein Hinweis darauf, dass der Ort der Handlung im Freien spielt. Bsp: „Sie nahm auf der Couch Platz.“ Couch ist Hinweis auf eine Kulisse innerhalb eines Hauses)
Nun betrachten Sie die Markierungen. Treten Sie in „Bündeln“ auf? Gibt es einen großen „Berg“ am Beginn einer Szene, danach so gut wie nichts mehr? Sind die meisten Markierungen in der Mitte Ihrer Szene oder haben Sie vielleicht sogar fast gar keine Markierungen?
Nach Rayne Hall hat eine perfekte Szene folgendes Aussehen:
- Die Markierungen verteilen sich auf die gesamte Szene
- in den ersten fünf Sätzen gibt es einige Markierungen
- auf der ersten Seite sind mehr Markierungen als irgendwo anders
- keine langen (mehr als 100 Worte) stark markierten Absätze nach dem ersten Viertel der Szene
- keine langen (mehr als 500 Worte) Absätze ohne irgendeine Markierung.
Falls die Art der Markierungen Ihrer Szene wesentlich von diesen Anforderungen abweichen, sollten Sie über eine Überarbeitung nachdenken. Sehen Sie die Anforderungen als Empfehlung zum Nachdenken an, nicht als absolut striktes Gesetz.
Wie viel Beschreibung ist zu viel?
Darauf gibt es keine allgemeingültige Antwort. Nur ein Rat ist wichtig: Vermeiden Sie lange Absätze mit Beschreibungen. Das ist ein Hinweis auf Infodump. Brechen Sie die Erklärungen auf und verteilen Sie sie über die gesamte Szene. Hier etwas, dort etwas. So vermeiden Sie Ermüdungserscheinungen beim Leser.
Beobachten Sie Ihr eigenes Leseverhalten. Wann tendieren Sie dazu, Absätze oder sogar ganze Seiten zu überblättern? Notieren Sie die Gründe, nachdem Sie mehrere Bücher gelesen haben. Erkennen Sie bei sich selbst ein Muster? Glauben Sie, dass andere Leser sich genauso verhalten?
Falls Sie zu wenige Beschreibungen verwenden, so liefert das Buch von Frau Hall einige interessante Tipps.
Anbei einige Ideen von Rayne Hall:
Vermeiden Sie reine Aufzählungen („Die Geräusche von Autos und Vögeln), verwenden Sie stattdessen Verben, welche die Kulisse mit Leben erfüllen: „Die Autos brummten an mir vorbei, während in den Kastanien die Vögel zwitscherten.“
„Urlaubsprospekt“ vs lebendige Beschreibungen.
Frau Hall liefert interessante Beispiele dafür, wie krass der Unterschied zwischen einer leblosen Kulisse und guten Formulierungen sein kann.
Beispiel1:
„Im Morgenlicht konnte man den Sand bereits gut erkennen. Vereinzelt sah man leichten Dunst aufsteigen, weil es wärmer wurde.“
Besser klingt es so:
„Der Wüstensand bewegte sich im fahlen Morgenlicht, Dunst kroch in der ansteigenden Hitze nach oben.“
Beispiel 2:
„Das Zimmer besaß einen Boden aus weiß lackierten Eichenbrettern. Durch die großen Fenster schien die Sonne herein.“
Besser klingt es so:
„Der weiß lackierte Eichenboden schimmerte wie poliertes Glas. Sonnenlicht strömte durch die raumhohen Fenster.“
Ein letztes Beispiel:
„Die Morelli-Garage stand auf einem kleinen Eckgrundstück. Sie sah ziemlich alt und verdreckt aus.“
„Die Morelli-Garage kauerte alleinstehend und schroff an der Ecke des kleinen Grundstücks. Es war eine kümmerliche Sache, beleuchtet von einem Kegel fahlen Sonnenlichts, gefiltert durch die rußverschmierte Scheibe.“
Hinweis in eigener Sache:
Aufgrund der Sommerzeit, weiteren Arbeiten auf meiner leider inzwischen sehr umfangreich gewordenen To-Do-Liste, wird der nächste Beitrag voraussichtlich erst im Oktober 2017 erscheinen können. Ich wünsche den Lesern erholsame Ferien, lesen Sie gute Bücher.
Bildquelle
- rayne_hall Writing vivid settings: www.amazon.de