Eines der Hauptprobleme, mit denen Autoren zu kämpfen haben, ist die Frage der glaubhaften Darstellung der Protagonisten. Leider findet man sehr oft einfach nur Schablonen, beliebig austauschbare Figuren, die in einem Roman herumlaufen, wie ferngesteuert.
Wie kann man das vermeiden? Eine Möglichkeit, auf die ich in diesem Teil eingehen möchte, ist die „Interview-Methode“. Es geht darum, die wichtigsten Handlungsträger eines Romans ausführlich zu befragen. Die Antworten ergeben sich aus zwei Quellen:
1. Ihrem fertigen Roman. Darin sind die Motive Ihrer Figuren umfangreich beschrieben. Alle Antworten können Sie mit Verweisen auf die Seiten geben, z.B. Vgl. S. 126, 3. Absatz
2. Ihrer Karteikarte, auf der Sie alle notwendigen Angaben für eine glaubhafte Biographie Ihrer wichtigen Romanfiguren vermerkt haben, bevor Sie mit dem Schreiben starten wollen.
Nachfolgende Fragen sind optimiert für eine typische Fantasy-Story, in der eine Person allein oder mit Gefolge herum reist. Sie können Sie aber individuell anpassen an jedes Genre.
Musterfragen für ein Interview einer Hauptfigur:
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Nennen Sie uns Ihren Namen und Ihre Funktion!
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Wie alt sind Sie und wie sehen Sie aus?
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Was ist Ihre derzeitige Aufgabe und wann und warum wurde sie Ihnen übertragen oder haben Sie diese für sich gewählt? Bitte gehen Sie bei der Antwort sehr ins Detail.
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Welche Gründe bewogen Sie, Ihre Aufgabe nicht abzulehnen? Gehen Sie ins Detail!
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Was motiviert Sie besonders, Ihre derzeitige Aufgabe durchzuführen? Beschreiben Sie bitte sehr ausführlich!
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Welche Qualifikation haben Sie für Ihre derzeitige Aufgabe und wann/wie haben Sie diese erworben?
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Halten Sie Ihre bisherige Qualifikation für ausreichend oder denken Sie, dass Ihnen noch etwas fehlt?
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Was denken Sie über Ihre derzeitige Aufgabe? Schildern Sie uns bitte auch die wichtigsten Vor- und Nachteile dieser Tätigkeit!
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Brauchen Sie für die Ausübung Ihrer Aufgabe Hilfsmittel? Welche sind es und was denken Sie über die Vor- und Nachteile der Hilfsmittel?
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Wurden Sie an den Hilfsmitteln ausgebildet? Falls ja, wann und wie lange? Falls Sie keine Ausbildung hatten, warum beherrschen Sie die Mittel trotzdem?
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Haben Sie Freunde, Familie? Falls nein, warum nicht?
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Würden Sie gerne Freunde/Familie haben? Falls nein, warum ist das so?
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Falls Sie Freunde haben, was denken diese über Sie? Wie würden Ihre Freunde Ihre Person einem Fremden beschreiben?
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Was denken Sie über Ihre Freunde? Welchem der Freunde würden Sie mehr oder weniger vertrauen und warum?
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Wenn Sie Ihre Persönlichkeitsstruktur einem Fremden in 4 bis 5 Sätzen beschreiben müssten, was würden Sie dann über sich erzählen?
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Was machten Sie, bevor Sie Ihre derzeitige Aufgabe übernommen haben? Trauern Sie dieser Zeit nach? Falls nein, warum nicht?
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Was würden Sie jetzt alternativ tun, falls Ihnen jemand plötzlich Ihre Aufgabe entzieht? Haben Sie ein Hobby, auf das Sie zurückgreifen könnten?
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Was würden Sie als Ihre größten Stärken und Schwächen bezeichnen?
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Falls Ihre derzeitige Aufgabe erfolgreich abgeschlossen werden kann, was würden Sie danach zuerst tun?
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Wenn Ihre derzeitige Aufgabe scheitert, welche persönlichen Konsequenzen hätte das für Sie und wie denken Sie darüber?
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Was waren in Ihrem Leben bisher die größten Höhepunkte, die schlimmsten Ereignisse?
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Falls Sie ein Bösewicht oder Held sind, an welchen Aspekten Ihrer Persönlichkeitsstruktur, Ihrem Auftreten in der Öffentlichkeit, würde ein Fremder erkennen, dass Sie ein Held/Bösewicht sind?
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Welche Aspekte Ihres Auftretens würden Sie selbst als klischeehaft bezeichnen? Wo fühlen Sie sich als zu eindimensional dargestellt, ohne charakterliche Tiefe?
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Wenn Sie mit Ihrem Autor, Ihrer Autorin sprechen könnten, welche Aspekte Ihrer Persönlichkeit würden Sie dann feiner, detaillierter, dargestellt haben wollen? Wo finden Sie sich zu grobschlächtig oder schablonenhaft dargestellt?
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Falls Sie ein Held/Bösewicht sind, würden Sie dann mit der jeweils anderen Seite tauschen wollen? Falls Sie eine andere Person in dieser Handlung sein könnten, welche wären Sie dann gerne und warum?
Musterfragen für Begleitpersonen einer wichtigen Romanfigur (Gefolgschaft)
- Warum folgen Sie der Person? Welche Gründe bewogen Sie dazu? Warum konnten/wollten Sie die Gefolgschaft nicht ablehnen?
- Was denken Sie über die Person, der Sie folgen?
- Was glauben Sie, was die Person über Sie denkt?
- Wenn Ihnen die Person Anweisungen/Befehle gibt, würden Sie dann alle befolgen oder gäbe es welche, die Sie garantiert nicht ausführen würden? Welche Anweisungen würden Sie nicht befolgen und warum?
- Wann haben Sie das letzte Mal über die Person, der Sie folgen, gelästert? Falls Sie noch nie gelästert haben, warum taten Sie es nicht?
- Nennen Sie uns bitte den letzten Fall, bei dem Sie eine Anweisung erst einmal ausdiskutiert haben wollten, bevor Sie sie ausführten!
- Wann haben Sie sich zuletzt einer Anweisung widersetzt oder versucht zu widersetzen? Falls Sie noch nie einem Befehl widersprochen haben, warum taten Sie das?
- Welche persönlichen Vorteile erhoffen Sie sich davon, einer bestimmten Person zu folgen? Nennen Sie uns auch die Nachteile!
- Wenn die Person Sie plötzlich entlassen würde, was würde das für Sie bedeuten?
- Welche persönlichen Pläne haben Sie nach dem Ende der Mission? Welche Pläne hatten Sie, bevor Sie sich der Mission anschlossen?
Generell zielen die Fragen darauf ab zu prüfen, ob die Romanfigur über eine Persönlichkeit verfügt, bzw. vom Autor eine zur Verfügung gestellt bekam. Figuren, die keine charakterliche Tiefe besitzen, können die meisten Fragen nicht beantworten. Sie sind lediglich Schablonen, laufen in der Story herum wie Zombies und führen Handlungen aus, ohne sie zu hinterfragen. Sie setzen sich nicht mit ihrer Umwelt auseinander, hadern nicht mit sich selbst oder ihrem Auftrag. Sie hatten keine echte Vergangenheit, und planen nichts für die Zukunft.
Ihre Romanfigur hat dann einen Charakter, wenn Sie wenigstens 80-90 Prozent der Fragen beantworten können. Wenn Sie stellvertretend für Ihre Figur die Fragen nicht beantworten können, besonders nicht die Nr. 4 bis 10, sowie 13 bis 18, dann hat Ihr Protagonist ein Problem. Arbeiten Sie daran!
Ich habe ein ähnliches Interview mit meinem Hauptcharakter geführt. Führen wollen. Aber er war ziemlich uneinsichtig, sah gar nicht ein, einer Fremden solch persönliche Informationen preis zu geben und hat ansonsten mit bissigen Bemerkungen um sich geworfen. Fazit: Als Infobox durchgefallen, aber ich habe ihn sehr viel besser kennen gelernt und weiß nun, wie er im Roman reagieren wird.
Ansonsten ein guter Tipp von Bernie: Ich musste auch erst den zweiten Teil der Geschichte schreiben (zumindest teilweise), damit mir aufging, was der Gute in der ersten Hälfte lernen und erfahren muss.
Ja, wo gibt es denn so was? Eine respektlose Romanfigur? Vielleicht sollte man dem Hauptcharakter mal mit dem berühmten Satz kommen: „Ich bin dein Vater – Schnauf – Schnauf.“ Der eine mag zwar frech sein, wir Schöpfer haben aber uneingeschränkte Macht über die Computermaus. Ein Klick und weg ist die Figur. Hau dem Typ ordentlich auf die Finger. Wer frech wird, der fliegt.
Ich habe die Erfahrung gemacht, das je mehr man ein Buch oder eine Geschichte ausarbeitet, desto unlebendiger wird so eine Arbeit. Je mehr man diese Person oder Personen in seinem Kopf hat, weiß wie sie denkt, sie fühlt, wie sie redet, desto lebendiger kann man schreiben. Das kommt nicht auf einmal, sonder entwickelt sich über einen Zeitraum von vielen Monaten oder auch Jahren. Man ist selber diese Person, so als ob man Theater spielt, in eine fremde Rolle schlüpft.
Und gerade das sollte man machen.
Theater spielen, das was man schreiben will für sich selber aufführen (eventuell vor einem Spiegel)
Es ist der alte „Streit“ zwischen Outlinern und Pantsern bzw. der Arbeitsweise, die am besten zu einem selbst passt. Orson Scott Card beispielsweise ist ein Outliner im Extrem. Für Ender´s Game hat er jede Szene exakt vorab ausgearbeitet, immer wieder überarbeitet, Abfolgen geändet usw. Danach konnte er den Roman in 2 Wochen fertigschreiben. Das ist natürlich nicht eine Methode für jeden. Andererseits fangen viele Neuautoren auch einfach mal mit dem Schreiben an und fahren dann mit Vollgas an die Wand, weil irgendwann nichts mehr passt, die Handlung stockt. Es geht ihnen dann so wie Menschen, die ohne Plan ein Haus bauen und kurz vor Fertigstellung des Dachs merken, dass sie zwar drei Badezimmer haben, aber kein Wohnzimmer.
Ein interessanten Tipp, den ich gut finde, ist: „Man sollte das Romanende zuerst schreiben, dann weiß man, wie der Anfang sein muss.“ Außerdem erleichtert es die Suche nach Handlungsabfolgen auf dem Weg zum Ende.
Ansonsten halte ich es mit dem alten Spruch: „Viele Wege führen nach Rom.“ Ein Mittelweg zwischen den Extremen von Orson Scott Card und „ohne Plan losschreiben“ ist sicherlich für viele die beste Methode.