Fantasy schreiben, keine Märchen!

Es gibt wunderbare Fantasy-Bücher, auch im Selfpublishing. Hand aufs Herz – bietet dieses Genre nicht eine reichhaltige Auswahl an Freiheit in der Plotgestaltung? Doch kann man dabei auch grandios scheitern? Leider ja. 

Die Fantasy mit ihren zahlreichen Untergruppen, z.B. High Fantasy, Low Fantasy ist ein weites Feld. Nicht zuletzt der Erfolg von „Ein Lied von Eis und Feuer“ hat dem Genre wieder einigen Schwung gegeben. Urban Fantasy ist nicht nur seit den „Chroniken von Narnia“ ein Erfolg. Mit ein Grund um einzusteigen, seinen ersten Roman in diesem Genre zu schreiben? Normalerweise kein Problem, falls man weiß, was Fantasy ist bzw. was es nicht ist.

Fantasy hat beispielsweise wenig mit den Gebrüdern Grimm zu tun. Die schrieben nämlich Märchen. Ja, es gibt auch dort Fabelwesen, die gute Fee, böse Hexen. Aber der Stil ist ein völlig anderer. Die Zielgruppe sind Kinder, Fantasy hingegen wird von Jugendlichen und Erwachsenen gelesen.

Eigentlich Grund genug, um sowohl Schreibstil als auch Plot anzupassen. Fantasy verlangt eine Welt, die zwar anders ist als unsere, aber in der echte Persönlichkeiten leben. Die haben Probleme, setzen sich Lebensziele, scheitern oft bei der Umsetzung. Auf einen Nenner gebracht: Auch wenn es sich um Elfen, Trolle, Zwerge oder tapfere Ritter handelt, so könnten diese Figuren durchaus real sein. Würden wir in der Fantasywelt leben, empfänden wir den Kontakt mit diesen Leuten als völlig normal. Wir säßen mit Gandalf am Tisch, würden mit ihm eine Pfeife rauchen. Wir liefen mit Harry Potter durch Hogwarts und würden mit ihm über die schulischen Anforderungen reden, wieso wir manche Lehrer doof oder gut fänden. Es wäre für uns Alltag.

So könnte uns ein Ritter beispielsweise berichten: „Der letzte Kampf war ein Gemetzel. Die Orks überraschten uns, viele gute Kameraden mussten ihr Leben lassen. Ich kann gar nicht so viel Bier saufen, um die Erinnerungen zu ertränken. Scheiße, verdammte!“

Was sagen uns die wenigen Zeilen über den Ritter? Er ist nervlich ziemlich mitgenommen, betrauert den Tod seiner Kameraden usw. Mit anderen Worten: Er fühlt sich real an, hat echte Sorgen und ist kein Pappaufsteller aus der Hand des Autors.

Die Aufgabe eines Autors/Autorin besteht darin, solch eine Realität zu schaffen. Der Leser soll darin eintauchen, sie als normal ansehen und nicht bei jeder Zeile daran erinnert werden, dass er sich in einer fiktiven Welt befindet. Dann hätte man nämlich keine Fantasy geschrieben, sondern ein Kindermärchen.

Sie meinen, das sei doch klar? Leider nein. Was sagen Sie beispielsweise zu diesem Auszug aus einem Roman (wie immer, anonymisiert):

B war ein von grüner Hügellandschaft geprägtes, friedliches Land. Es wurde regiert von einem Königspaar, das zwei Töchter hatte – Prinzessin L und Prinzessin K. Sie lebten in B, am Schloss G.

Die Sonne stand hoch am blauen Himmel und warf ihre warmen Strahlen auf das so idyllische Land. Die tiefgrünen Blätter der Bäume tanzten im seichten Wind leise hin und her.

Die vielen bunten Vögel saßen in den Bäumen und flogen an dem immer wolkenlosen Himmel umher. Sie zwitscherten ihre Lieder und bauten ihre Nester. Die riesigen Schafsherden zogen über das Land und aßen sich satt an den immergrünen Wiesen.

Die Bienen arbeiteten fleißig und bestäubten die tellergroßen Blüten der Blumen, die B mit ihrem Duft erfüllten und die das ganze Jahr über in üppigen Farben blühten. Große, bunte Schmetterlinge verzauberten die unzähligen Gärten.

Es war ein Tag wie jeder andere – so schien es zumindest.

Langsam zogen die ersten weißen Wolken auf. Die Vögel verstummten, die Schafsherden ließen ab vom grünen Gras und die Bienen und Schmetterlinge flogen aufgeregt hin und her. Die Blumen ließen ihre Köpfe hängen und die Blätter der Bäume verwelkten.

Aus den weißen Wolken wurden Graue und der Himmel verdüsterte sich zunehmend. Plötzlich zog ein eisiger Wind über B auf.

Wie immer waren es die Tiere, die als Erste wahrnahmen, dass sich Unheil ankündigte.

Sie scharten sich zusammen. Riesige Vogelschwärme, abertausende von Schafen, ganze Bienenvölker und Schmetterlinge verließen B schlagartig. Sie flüchteten in Richtung Osten nach M und in Richtung Westen nach G.

Totenstille trat ein. Der Himmel jetzt vollends mit dunklen, grauen Wolken verhangen, ließ keine Sonnenstrahlen mehr hindurch.

Die B schauten verängstigt empor und spürten, dass irgendetwas geschah, was nicht alltäglich war, denn in B schien immer die Sonne.

Es dauerte nicht lange und die Erde fing an zu beben. Die ersten Menschen versuchten sich in Sicherheit zu bringen, indem sie in ihre Häuser rannten oder irgendwo in der Nähe Zuflucht suchten.

Kurz darauf vernahm man Hufschläge. Erst aus der Ferne – dann immer näher kommend und da erschien er: O. Mit Hundertschaften zu Pferde fiel er von Norden her in B ein. […]

Die ersten Pfeile flogen und die wenigen Wachposten, die im Norden Bs stationiert waren, wurden von Os Heerscharen problemlos überwältigt.

Seine Truppen verbreiteten sich schnell, wie die Ameisen, über das ganze Land – und brachten Angst und Schrecken in das friedliche B.

Interessantes Land, dieses B. Wenn immer die Sonne scheint, müssen die Bauern aber ordentlich gießen. Hoffentlich haben die kein Dürreproblem, wie derzeit in Kalifornien. Das kommt nämlich davon, wenn die Sonne dauernd scheint und es nie regnet.

Ist das Fantasy? Ich hoffe, Sie stimmen mir zu, wenn das das schnöde verneine. Ist es ein Märchen? Ja, die Gebrüder Grimm hätten sich gefreut.

Der böse Feind kommt mit Pferden, aber die Bienen spüren es schon vorher und hauen mit den Schmetterlingen zusammen ab. Schlau, diese Insekten! Traut man denen gar nicht zu. Dabei bräuchten die vor Reitern keine Angst zu haben. Soviel können Pferde gar nicht fressen, damit keine Blumen für die Bienen übrig bleiben. Ich fragte mich übrigens auch, wieso die Hummeln nicht ebenfalls fortgeflogen sind, schließlich bilden sie Staaten, wie die Bienen, und die Ernährungsgrundlage ist die gleiche. Vielleicht waren die Hummeln einfach nur träge, denken dass alles nicht so schlimm kommt? Ob sie eventuell sogar mit dem Feind zusammenarbeiten?

Fragen über Fragen!

Tja, diese Welt B ist für mich so real wie die von Frau Holle oder dem Rumpelstilzchen. Ich bin es leid, Geschichten zu lesen über Könige, die von allen nur geliebt werden und mit Weisheit und Güte regieren. Die eine Familie haben, in der es nie Probleme gibt, wo die Guten stets zu hundert Prozent gut und die Bösen nur abgrundtief böse sind. Auch hasse ich es, Geschichten über Länder zu lesen, in denen immer die Sonne scheint, es nie regnet, in denen nur zufriedene und glückliche Menschen wohnen. Länder, in denen wahrscheinlich kein Unkraut wuchert, es keine Missernten gibt und Fuchs und Hase einander fröhlich anlächeln.

Wenn Sie nur so etwas schreiben können, nennen Sie es meinetwegen Märchenbuch, aber nie Fantasy! Ein bunter Aufkleber machte aus einem rostigen Golf keinen Porsche.

Das wirre Geschreibsel in obigem Beispiel Fantasy zu nennen empfinde ich als Beleidigung für das Genre!

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Bildquelle

  • Fairy tale landscape: mentona fotolia.de

Ein Gedanke zu „Fantasy schreiben, keine Märchen!“

  1. Das mit den Grimms und den Märchen siehst du völlig falsch. Zum einen haben sie diese Geschichten nur gesammelt, nicht selbst erfunden. Und zum anderen waren es ursprünglich ziemlich düstere Geschichten, die absolut ungeeignet für Kinder waren. Erst im Laufe der Zeit wurden Märchen zu einem synonym für Kindergeschichten eines besonderen Stils.

    Heute können Märchen wieder durchaus anders, wie die vielen tollen Märchenadaptionen zeigen (darunter auch meine eigenen). Der große Unterschied zur Fantasy besteht imho darin, dass in traditionellen Märchen Archetypen als Charaktere verwendet werden und in Fantasy eher Menschen (oder ähnliche Figuren) wie du und ich eben nur in besonderen Rollen

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