Der Romanbeginn – Langeweile vermeiden Teil 2

Willkommen zu Teil 2 über den Romanbeginn. Er ist der erste Kontakt zwischen Autor und Leser. Oft bleiben nur Sekunden, um einen Leser davon zu überzeugen, sich stärker dem Buch zu widmen. Wie kann man den Kontakt in einen Erfolg verwandeln?  Wie verhindert man Langeweile auf den ersten Seiten?

Obwohl eigentlich in fast jedem Schreibratgeber betont wird, wie wichtig der Romanbeginn ist, wird er leider zu oft vernachlässigt. Deshalb möchte in diesem zweiten Teil das Thema anhand eines konkreten Beispiels weiter vertiefen. Alle Angaben wurden anonymisiert, denn es geht nur um den Text.

Nach einem unnützen Prolog beginnt der Roman aus der Kategorie Fantasy mit folgendem Text:

S öffnete die Augen und war geblendet, denn die Sonne durchflutete ihr ganzes Zimmer mit gleißend hellem Licht. Endlich wird es Sommer, dachte sie und mit einem Satz war sie aus dem Bett und musterte die Sachen, die sie gestern, zu einem undefinierbaren Haufen zerknüllt und von oben bis unten lehmig, an ihrer Tür abgestreift hatte.

Ich glaube, die sollte ich waschen, bevor Mutter sie sieht, überlegte sie sich und fischte saubere Kleidung aus ihrer Truhe. Unten im Haus war schon das Klappern des Geschirrs zu hören und der Duft von frischem Brot stieg ihr in die Nase.

Sie rannte die Treppe hinunter und ein lautes Magenknurren erinnerte sie daran, dass es für sie gestern kein Abendbrot gegeben hatte, weil sie und ihr Bruder heimlich vom Kuchen genascht hatten und ihr Vater E in genau diesen Moment in die Küche geplatzt war. Ihr Po schmerzte immer noch, genau wie der von R, mutmaßte S und verzog ihr Gesicht.

In der Küche angekommen empfing sie B, der kleine schwarz-weiß gescheckte Hund, mit freudigem Gebell.

„Oh, du bist schon auf? Morgen, Kleines, ich habe die Eier gleich fertig und deine Mutter hat auch schon gutes Brot im Ofen“, begrüßte sie E. „Wecke doch noch deine Geschwister, dann können wir gleich anfangen.“

S nickte eilig und so schnell, wie sie die Treppe herunter gekommen war, stürmte sie sie nun wieder hinauf, trat kurz und kräftig vor die Tür ihres Bruder R und brüllte: „Frühstück!“ Dann hämmerte sie bei ihrer Schwester an das Zimmer, bis sie ein wütendes Brummen wahrnahm. „Müde Langschläfer“, schimpfte S. Im Raum ihres Bruders R hörte sie träge Schlurfgeräusche, er war also auch endlich auf und so hüpfte sie wieder nach unten.

S´s Mutter E  war gerade dabei, das frische Brot in dicke, dampfende und köstlich duftende Scheiben zu schneiden. Vaters selbst gemachter Käse, die braunen Eier und ein kleiner Schinken lagen schon auf dem Tisch und ließen S so richtig das Wasser im Munde zusammenlaufen. B sprang aufgeregt durch die Küche in der Hoffnung, dass auch für ihn ein kleiner Happen abfiel.

„Heute werden wir alle kräftig zupacken müssen“, sagte E mit ihrer ruhigen, klaren Stimme und strich sich eine Strähne ihrer roten lockigen Haare aus dem Gesicht. Sie war für eine Frau ziemlich groß und ihre Augen funkelten meist fröhlich.

Auch E war groß, zudem war er breitschultrig und sowohl Haare als auch Bart waren pechschwarz. Seine Augen leuchteten, wenn er E oder seine Kinder ansah. Aber er konnte auch ziemlich zornig werden und dann suchten sie lieber das Weite.

S war die älteste der drei Geschwister, letzten Monat sechzehn geworden und genau wie ihre Mutter eher eine Bohnenstange, nur dass ihr Haar so schwarz wie das ihres Vaters war und ihr, in einen Zopf geflochten, bis zum Po reichte. R war vierzehn und schon jetzt kräftig gebaut, mit rotblonden kurzen Haaren, die wild in alle Richtungen abstanden. Und E war mit acht Jahren das Nesthäkchen, klein und zierlich mit braunem, schulterlangem Haar.

Die beiden kamen nun auch in die geräumige Küche und ließen sich auf die Bank an dem schweren Holztisch fallen, wobei R kurz das Gesicht verzog. S grinste wissend in sich hinein.

„Morgen, oh das duftet lecker, habe einen Bärenhunger“, meinte er und warf S einen kurzen Blick zu, so dass beide grinsen mussten.

Es gibt die eiserne Regel einen Roman nicht damit zu starten, dass die Hauptperson aus dem Schlaf erwacht. Natürlich existieren, wie bei jeder Regel, auch Ausnahmen. So beginnt der erste Teil von „Tribute von Panem“ mit dem Erwachen von Katniss und auch Brandon Sanderson in „Elantris“ lässt seinen Held aus dem Schlaf erwachen.

Das sind erfolgreiche Gegenbeispiele, doch sie funktionieren aufgrund der individuellen Klasse der beiden Autoren . In obigem Beispieltext funktioniert es nicht.

Kommen wir zurück zu den drei Fragen von Orson Scott Card, die ein Romanbeginn beantworten muss:

  1. Wo bin ?
  2. In wessen Haut stecke ich?
  3. Warum soll mich das alles interessieren?

Zerlegen wir das Beispiel nach den drei Fragen. Wir sind irgendwo im Haus einer Familie mit drei Kindern. Offensichtlich stecke ich in der Haut des Mädchens S. Warum sollte mich S interessieren?

Ich habe den obigen Text mehrmals gelesen aber leider keinen Grund dafür gefunden, mich tiefer mit S und ihrem Schicksal zu beschäftigen. Was erfährt der Leser über S? Sie hat ein eigenes Zimmer, wird von der Sonne geweckt und die Familie findet sich am Frühstückstisch ein.

  • Gibt es in der Familie irgendeinen Konflikt? Nicht ersichtlich.
  • Existiert die Vorahnung von irgendwelchen düsteren Ereignissen? Nö!
  • Passiert sonst etwas, das über den Durchschnitt einer typischen, glücklichen Familie hinausgeht? Nö!
  • Nächste Frage: Wieso sollte mich als Leser die Story interessieren? Was ermuntert mich zum Weiterlesen?

Die Sache mit dem Aufwachen funktioniert zumeist deshalb nicht, weil anschließend eine typische, langweilige Alltagsszene folgt. Die Familie versammelt sich am Frühstückstisch oder die Romanfigur geht ins Bad und wäscht sich, putzt Zähne. Ein Angestellter denkt vielleicht an das Büro, den doofen Chef, die stressige Autofahrt, die Verspätung des Zuges, jammert über den schlechten Morgenkaffee, die Müdigkeit, oder, oder, oder.

Alle Szenen haben eines gemeinsam: Sie sind banal und langweilig!

Denken wir uns folgende Szene aus: Sie laufen in einer Stadt, haben wenig Zeit und treffen überraschend eine alte Bekannte. 

„Stell dir vor, was mir passiert ist!“, beginnt sie das Gespräch. „Also, ich wachte heute früh auf, weil die Sonne ihre warmen Strahlen auf mein Gesicht lenkte. Ich liebe es ja, wenn man von der Sonne wachgeküsst wird. Du nicht auch?“

„Was ist denn jetzt passiert?“

„Gleich, gleich. Keine Hast! Zuerst ging ich in die Toilette und leerte meine Blase. Dann wischte ich mir mit einem kalten Waschlappen über das Gesicht. Dann …“

Ihre Geduld wird auf eine harte Probe gestellt. Sie blicken demonstrativ auf die Uhr, was die Bekannte leider wenig stört.

„Ich liebe eine Tasse frischen Kaffee am Morgen, du nicht auch? Ich stellte die Tasse unter die Maschine und drückte den Knopf. Sofort lief der Kaffee hinein. Es war ein herrlicher Duft, ich liebe den Duft nach frischem Kaffee. Es ist so wahnsinnig toll, wenn er in die Nase steigt, der erste intensive Geruch am Morgen. Einfach genial!“

„Sagtest du nicht, dass irgendetwas passiert sei? Ich bin spät dran.“

„Ja, ja. Nur einen Moment. Nachher nahm ich zwei Toastscheiben aus der Verpackung und steckte sie in den Toaster. Ungeduldig stand ich daneben, bis sie fertig waren. Anschließend strich ich Butter über die heißen Scheiben. Ich liebe es, wenn die Butter auf dem heißen Toast zerläuft. Danach griff ich zum Marmeladenglas und schmierte eine ordentliche Portion auf die Scheiben. Ich brauche jeden Morgen den Start mit Marmelade. Weißt du, ich stecke immer das Messer tief in das Marmeladenglas, damit eine große Portion auf das Brot fällt. Der Anblick dieses Marmeladenhaufens auf frischem Brot lässt mir das Wasser im Mund zusammenlaufen. Danach …“

Ich bin sicher, spätestens jetzt hätten Sie den Kontakt abgebrochen. Sie wissen, warum. Ihre Bekannte erzählt Ihnen lauter langweilige Sachen, die Sie nicht hören wollen.

Gegenfrage: Was hätte Sie denn interessiert? Vielleicht folgender Gesprächsbeginn:

„Schön, dich wieder einmal zu sehen. Ich habe übrigens einen neuen Freund, ein klasse Typ und im Bett verstehen wir uns auch gut. Aber ich glaube, dass er ein dunkles Geheimnis mit sich herumträgt.“

Geben Sie es zu, so etwas würde Ihre Neugier sofort wecken. Bestimmt möchten Sie nun mehr hören über diesen neuen Freund und warum die Bekannte glaubt, dass er ein dunkles Geheimnis besitzt.

Warum lesen wir Bücher?

Wir wollen unterhalten werden, nicht gelangweilt. Oder, wie es in einem amerikanischen Schreibratgeber einmal ausgedrückt wurde:

 „Never write about the bland and the boring.“

Niemand will etwas lesen über gewöhnliche Menschen oder gewöhnliche Familien, die sich lachend am Frühstückstisch einfinden, keinerlei Probleme haben und langweilige Dinge sagen oder tun. Auch nützt es wenig, wie Ihre fiktive Bekannte, mit langweiligen Erzählungen zu starten. Vielleicht hatte sie die Hoffnung, dass Sie solange bleiben, bis sie zu dem Punkt kommt, ab dem es richtig spannend wird. Das dürfte kaum passieren. Geduld ist selten geworden.

Liefern Sie frühzeitig einen Grund, um bei der Stange zu bleiben.

Was denken Sie über das gewählte Beispiel? Hätte es Sie zum Weiterlesen animiert?

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