24 meisterhafte Romananfänge

24 Meisterhafte Romananfänge; der berühmte erste Satz. Wie oft hat man davon gehört, dass dies einer der wichtigsten Sätze sein soll. Ohne diesen würde der Leser das Buch weglegen, es nicht kaufen wollen etc. Kann man das so allgemein sagen? Nein, natürlich nicht. Der Romananfang ist wichtig, ohne Zweifel,  sollte allerdings auch nicht überbewertet werden.

Es nützt nichts, wenn der berühmte erste Satz ausgezeichnet, der Rest des Romans eine geringe Qualität hat.  Sicher kennt jeder Leser Bücher mit einem wenig schmeichelhaften ersten Satz, die sich trotzdem verkaufen, weil der Rest der Handlung stimmt. (Es viele qualitätsvolle weitere Sätze gibt)

Was ist nun das Faszinierende an dem ersten Satz eines Romans? Beginnen wir einen kleinen Streifzug durch berühmte erste Sätze:

1)    Alle glücklichen Familien sind gleich, jede unglückliche Familie ist auf ihre eigene Art unglücklich.

Leo Tolstoi: Anna Karenina

2)    Es ist eine allgemein anerkannte Wahrheit, dass ein alleinstehender Mann, der ein beträchtliches Vermögen besitzt, einer Frau bedarf. 

Jane Austen: Stolz und Vorurteil

3)    Es war die beste und die schlimmste Zeit, ein Jahrhundert der Weisheit und des Unsinns, eine Epoche des Glaubens und des Unglaubens, eine Periode des Lichts und der Finsternis: es war der Frühling der Hoffnung und der Winter der Verzweiflung; wir hatten alles , wir hatten nichts vor uns; wir steuerten alle dem Himmel zu und auch alle unmittelbar in die entgegengesetzte Richtung – mit einem Wort, diese Zeit war der unsrigen so ähnlich, dass ihre geräuschvollsten Vertreter im guten wie im bösen nur den Superlativ auf sie angewendet haben wollten.

Charles Dickens: Eine Geschichte aus zwei Städten

Das waren die Klassiker, Tolstoi, Austen und Dickens. Wie beginnen modernere Romane?

4)    Es war ein strahlender, kalter Tag im April und die Uhren schlugen Dreizehn.

George Orwell: 1984

5)    Es war ein verrückter schwüler Sommer, dieser Sommer, in dem die Rosenbergs auf den elektrischen Stuhl kamen und ich nicht wusste, was ich in New York eigentlich wollte.

Sylvia Plath: Die Glasglocke

6)    Sie sagen, wenn der Ärger sich nähert, dann schließe die Reihen. So taten es die Weißen.

Jean Rhys: Sargassomeer

7)    Als ich noch jünger und verwundbarer war, gab mein Vater mir einen Rat, der mir seither nicht mehr aus dem Kopf geht. “Wann immer du glaubst, jemanden kritisieren zu müssen”, sagte er zu mir, “denk daran, dass unter all den Menschen auf dieser Welt niemand solche Vorzüge genossen hat wie du.“

F. Scott Fitzgerald: Der große Gatsby

8)    Die Vergangenheit ist ein fremdes Land: sie machen die Dinge dort anders.

L. P. Hartley: The Go-Between

Mit Recht steht in fast jedem Schreibratgeber, dass man einen Roman nicht damit beginnen soll, dass der Protagonist aus seinem Schlaf erwacht und seinen Tag beginnt. Weitere amüsante Fehler findet man beispielweise hier. Es wäre zu banal, eine Story mit dem Aufwachen des Protagonisten zu starten. Diese Aussage stimmt – mit Ausnahmen . Wie alle Hinweise aus Ratgebern stellen sie Leitlinien dar, die Autoren übergehen können, wenn – ja wenn – sie diese Art des Romanbeginns eben nicht in die Banalität abgleiten lassen.

Nachfolgend präsentiere ich eine Auswahl berühmter Romane, die genauso beginnen, wie man es nicht machen sollte, aber bei denen dieser Anfang trotzdem gut passt:

9)    Als Gregor Samsa eines Morgens aus unruhigen Träumen erwachte, fand er sich in seinem Bett zu einem ungeheuren Ungeziefer verwandelt.

Franz Kafka: Die Verwandlung

10) Als ich aufwache, ist die andere Seite des Bettes kalt.

Suzanne Collins: Die Tribute von Panem

 

Nun wieder zurück anderen Romananfängen:

11)  “Nenne mich Ismael”

Herman Melville: Moby-Dick

12) Die Sonne schien, da sie keine andere Wahl hatte, auf das Bekannte.

Samuel Beckett: Murphy

13) Alle Kinder, bis auf einen, werden erwachsen.

J.M. Barrie: Peter Pan

14) Unter gewissen Umständen gibt es wenige Stunden im Leben, die angenehmer sind als die Stunde, die der Zeremonie, bekannt als Nachmittagstee, gewidmet ist.

Henry James: Porträt einer jungen Dame.

15) Lolita, Licht meines Lebens, Feuer meiner Lenden. Meine Sünde, meine Seele. Loo – Lii – Ta: die Spitze der Zunge geht auf eine Tour, drei Stufen hinunter vom Gaumen, und ist bei drei an den Zähnen. Lo. Lii. Ta. 

Vladimir Nabokov: Lolita

15) Es war unvermeidbar. Der Geruch bitterer Mandeln ließ ihn stets an das Schicksal   verhinderter Liebe denken.

Gabriel Garcia Marquez: Die Liebe in den Zeiten der Cholera

16) Die Kälte wich widerstrebend aus der Erde, die sich zurückziehenden Nebel deckten eine Armee auf, ruhend und verteilt auf den Hügeln.

Stephen Crane: Die rote Tapferkeitsmedaille

17) Er war ein alter Mann und er fischte allein in einem Boot im Golfstrom, und seit vierundachtzig Tagen hatte er keinen Fisch gefangen.

Ernest Hemingway: Der alte Mann und das Meer

18) All dies geschah, mehr oder weniger.

Kurt Vonnegut: Schlachthof 5 oder Der Kinderkreuzzug

19) Heute ist Mama gestorben. Oder vielleicht auch gestern. Ich weiß es nicht genau.

Albert Camus:  Der Fremde

20) Ich träumte letzte Nacht, dass ich erneut nach Manderley ging.

 Daphne du Maurier: Rebecca

21) Mr. und Mrs. Dursley im Ligusterweg Nr. 4 waren stolz darauf ganz und gar normal zu sein, sehr stolz sogar.

J. K. Rowling: Harry Potter und der Stein der Weisen.

22) Falls Sie wirklich meine Geschichte hören wollen, so möchten Sie wahrscheinlich vor allem wissen, wo ich geboren wurde und wie ich meine verflixte Kindheit verbrachte und was meine Eltern taten, bevor sie mit mir beschäftigt waren, und was es sonst noch an David Copperfield-Zeug zu erzählen gäbe, aber ich habe keine Lust, das alles zu erzählen.

 John D. Salinger: Der Fänger im Roggen

23) Scarlett O’Hara war nicht eigentlich schön zu nennen.

Margaret Mitchell: Vom Winde verweht

Da als Nummer 2 dieser Übersicht Jane Austen zitiert wird, möchte ich an einem abschließenden Beispiel demonstrieren, dass auch diese bekannte Autorin nicht nur herausragende Romananfänge schrieb, sondern auch ganz gewöhnliche:

24)  Emma Woodhouse, schön, klug und reich, mit einem behaglichen Heim und einer glücklichen Veranlagung, schien eine der besten Segnungen des Lebens in sich zu vereinen, und es hatte in den fast einundzwanzig Jahren, die sie auf der Welt war, nur sehr wenig gegeben, das sie beunruhigt oder betrübt hätte.

Jane Austen: Emma

Wie kann man als Selfpublisher einen spannenden Romananfang schreiben?

Wie kann man die erste Seite zu einer Bewerbung für den Leser machen?

Wie verhindert man einschläfernde Starts, welche keinerlei Lust aufs Weiterlesen vermittelten?

Die Antwort gibt mein Schreibratgeber „Die erste Seite“:

Ein Schreibratgeber

Was erwartet den Leser?

48 Romananfänger erfolgreicher Autoren mit Besprechung der Vorgehensweise und der verfolgten Ziele.

Jeweils 4 ausführliche Besprechungen von Romananfängen aus den Kategorien Krimi und Fantasy, die eher wenig gelungen sind. Erfahren Sie die Gründe, lesen Sie Tipps zur Fehlervermeidung.

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